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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 25.09.2023

Heterophorie

Verfasst von: Michael Oeverhaus
Heterophorie, das latente Schielen, ist bei den meisten Menschen zu finden, ohne dass es Beschwerden auslöst. Patienten mit Beschwerden sollten einer sorgfältigen Diagnostik unterzogen werden, um den kausalen Zusammenhang der zumeist unspezifischen Beschwerden mit der auch potenziell nur koinzidenten Heterophorie zu sichern. Dann lassen sich durch Prismen häufig die Beschwerden lindern.

Definition

Eine Heterophorie bezeichnet ein latentes Schielen (hetero = andersartig, abweichend, phoro = fortbewegen, auf etwas hinzielen), d. h. eine Abweichung von der Orthostellung bei Unterbrechung der Fusion. Heterophorien können je nach Richtung ihrer Abweichung klassifiziert werden (Exophorie = latentes Außenschielen, Esophorie = latentes Innenschielen, Vertikalphorie = latentes Höhenschielen, Zyklophorie = latentes Verrollungsschielen) oder basierend darauf, ob sie Beschwerden verursachen oder nicht. Wenn eine Heterophorie Beschwerden verursacht, wird sie als Pathophorie bezeichnet. Dabei ist zu beachten, dass der Großteil der Heterophorien keine Beschwerden macht und daher auch nicht therapiebedürftig ist. Sie wird dann als Normophorie bezeichnet.
Wichtig
Eine Heterophorie ist an sich keine Krankheit.
Beim Fixieren eines Objekts in unterschiedlichen Entfernungen müssen beide Augen eine bestimmte Konvergenz und Akkommodation aufbringen. Die genaue Vergenzabstimmung erfolgt durch die fusionale Konvergenz, bei der eine Verschiebung des retinalen Bildes als Stimulus dient. Bei Betrachtung naher Objekte erfolgt sie zusätzlich durch akkommodative Konvergenz, die aufgrund von Bildunschärfe ausgelöst wird. Wenn die Konvergenz und/oder die damit verbundene Akkommodation gestört sind, kann es zu unscharfem Sehen und sog. asthenopischen Beschwerden kommen (griechisch asthenés = schwach, optikós = zum Sehen gehörend). Die Konvergenz und Akkommodation werden von einem sensomotorischen Regelkreis gesteuert.

Pathophysiologie/Ursachen

Die genaue Pathogenese einer Heterophorie und ihrer damit verbundenen Beschwerden ist letztlich unbekannt. Die Beschwerden entstehen aufgrund der Schwierigkeit, über den sensomotorischen Regelkreis die korrekte Konvergenz und/oder Akkommodation für eine gegebene Beobachtungsdistanz aufrechtzuerhalten. Es scheint, dass eine Störung in der Regulation dieser Prozesse zu einem Ungleichgewicht zwischen den visuellen Reizen und der sensorischen Verarbeitung führt, was wiederum zu unscharfem Sehen und anderen phorischen Beschwerden führen kann.
Verschiedene Faktoren können zur Pathogenese der Heterophorie beitragen, darunter genetische Veranlagung, Umweltfaktoren, anatomische Variationen im visuellen System und möglicherweise auch neurologische oder neuromuskuläre Störungen. Es wird angenommen, dass eine Kombination dieser Faktoren das Gleichgewicht der visuellen Fusion und der korrekten Konvergenz/Akkommodation stört, was zu einer Heterophorie führen kann. Weitere Forschung ist erforderlich, um die genaue Pathogenese der Heterophorie zu verstehen und um effektive Ansätze für die Prävention und Behandlung dieser Störung zu entwickeln. Die komplexe Interaktion zwischen visuellen Reizen, sensorischer Verarbeitung und neuronalen Mechanismen macht die Erforschung der Heterophorie zu einer anspruchsvollen Aufgabe, die ein breites interdisziplinäres Verständnis erfordert.

Epidemiologie/Alter/Gender

Es ist wichtig anzumerken, dass die Prävalenz und Inzidenz von Heterophorien stark von der verwendeten Definition, den diagnostischen Kriterien und der untersuchten Bevölkerungsgruppe abhängen. Einige Heterophorien können subtil und asymptomatisch sein, während andere zu deutlichen Beschwerden führen können. Sie wird mit 70–80 % der Bevölkerung angegeben, wobei die meisten Heterophorien unter 3° liegen. Somit ist die Orthophorie v. a. in der Nähe zumeist nicht der Normalzustand.
Heterophorien können in verschiedenen Altersgruppen auftreten. Im Kindesalter sind Heterophorien häufiger anzutreffen, da sich das visuelle System noch in der Entwicklung befindet und es zu Ungleichgewichten in der Konvergenz und Akkommodation kommen kann. Mit zunehmendem Alter kann es zu Veränderungen in den Augenmuskeln und im visuellen System kommen, die ebenfalls Heterophorien begünstigen können.
Es gibt keine eindeutigen Hinweise darauf, dass ein bestimmtes Geschlecht häufiger von Heterophorien betroffen ist als das andere. Sowohl Männer als auch Frauen können gleichermaßen von Heterophorien betroffen sein. Es gibt jedoch einige Studien, die geringfügige geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen, wobei bestimmte Arten von Heterophorien bei einem Geschlecht etwas häufiger auftreten können. Diese Unterschiede sind jedoch nicht stark ausgeprägt und bedürfen weiterer Untersuchungen.

Risikofaktoren

Bei der Betrachtung der Risikofaktoren für Heterophorien lassen sich verschiedene Aspekte identifizieren, die das Auftreten und die Entwicklung dieser Störung beeinflussen können:
1.
Genetische Veranlagung: Es wurde festgestellt, dass Heterophorien in einigen Fällen familiär gehäuft auftreten. Eine genetische Veranlagung kann dazu führen, dass bestimmte strukturelle oder funktionelle Merkmale des visuellen Systems vererbt werden, die das Risiko einer Heterophorie erhöhen.
 
2.
Frühere Augenverletzungen oder Augenoperationen: Traumatische Verletzungen oder Operationen am Auge können die Muskeln, Nerven oder Strukturen im visuellen System beeinträchtigen, was zu einer Heterophorie führen kann.
 
3.
Neurologische Erkrankungen: Bestimmte neurologische Erkrankungen, wie z. B. Schlaganfälle, Tumore oder degenerative Erkrankungen des Nervensystems, können das Gleichgewicht der Augenmuskeln und die Koordination der Augenbewegungen stören.
 
4.
Brechungsfehler: Ungleichmäßige Brechungsfehler wie Astigmatismus oder Anisometropie können zu einem Ungleichgewicht in der Akkommodation und Konvergenz führen.
 
5.
Umweltfaktoren: Langfristige visuelle Belastungen, wie z. B. längeres Arbeiten am Computerbildschirm, schlechte Beleuchtung oder längeres Lesen bei ungünstigen Bedingungen, können das visuelle System überlasten und das Auftreten von Heterophorien begünstigen.
 
6.
Hormonelle Veränderungen: Es gibt Hinweise darauf, dass hormonelle Veränderungen, insbesondere während der Pubertät oder Schwangerschaft, Auswirkungen auf die Stabilität des visuellen Systems haben und das Risiko einer Heterophorie erhöhen können.
 
Es ist wichtig zu beachten, dass das Vorhandensein dieser Risikofaktoren nicht zwangsläufig zu einer Heterophorie führen muss.

Klinik

Die klinische Symptomatik einer Heterophorie kann unterschiedlich sein und sich in verschiedenen Beschwerden äußern. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
  • Unscharfes Sehen, gelegentliches Auftreten von Doppelbildern, primär bei Übermüdung
  • Asthenopische Beschwerden: Augenschmerzen, Druckgefühl in den Augen oder Kopfschmerzen. Diese Beschwerden können aufgrund der Schwierigkeiten beim Aufrechterhalten der korrekten Konvergenz und Akkommodation für eine gegebene Beobachtungsdistanz auftreten.
  • Dekompensation und Heterotropie: In einigen Fällen kann die Heterophorie zu einer Heterotropie, also einem manifestes Schielen, dekompensieren. Das bedeutet, dass das zuvor verborgene Schielen sichtbar wird. Dies kann zu stark beeinträchtigenden Doppelbildern (Diplopie) führen.
Es ist wichtig zu beachten, dass der Zusammenhang zwischen Heterophorie und asthenopischen Beschwerden nicht immer eindeutig ist. Insbesondere in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Heterophorie und Kopfschmerzen besteht selten eine tatsächliche Kausalität. Sowohl Heterophorien als auch Kopfschmerzen sind in der Normalbevölkerung weitverbreitet, und es ist nicht immer klar, ob beide Erkrankungen miteinander zusammenhängen. Daher erfordert die Diagnose und Behandlung von Heterophorien eine gründliche augenärztliche Untersuchung. Eine genaue Bewertung der Symptomatik, eine Messung der Heterophorie und eine Beurteilung des Zusammenhangs zwischen den Symptomen und der Heterophorie sind entscheidend, um angemessene therapeutische Maßnahmen zu ergreifen.

Diagnostik

Die Diagnose einer Heterophorie mit asthenopischen Beschwerden erfordert eine systematische Vorgehensweise. Im Folgenden werden die notwendigen Schritte aufgeführt:
1.
Anamnese und Ausschluss anderer Erkrankungen: Die Krankheitsgeschichte wird genau aufgenommen, um den Beginn der Beschwerden (Neue Brille?), das Auftreten und mögliche Faktoren, die sie verstärken oder abschwächen, zu ermitteln (Neurologische Ursache?). Typisch für eine Pathophorie sind die Beschwerdefreiheit nach dem Aufstehen und das Verstärken während des Tages, vor allem bei visuell anspruchsvollen Tätigkeiten. Es ist wichtig, andere Augenerkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome wie eine Asthenopie verursachen könnten, selbst wenn makroskopisch ein reizarmer Befund vorliegt. Weiterhin sollte nach früheren Schielerkrankungen, auch in der Familie, gefragt werden.
 
2.
Refraktionsbestimmung und Überprüfung der Akkommodationsbreite: Eine genaue Bestimmung der Brechungsfehler des Auges wird durchgeführt, um vornehmlich eine latente Hyperopie (Weitsichtigkeit) zu erfassen. Diese verursacht insbesondere in der Nähe Beschwerden und sollte in Zykloplegie geprüft werden. Eine falsche Brille oder ein Brillenwechsel (primär neuer Zylinder/Achsenänderung) können ebenfalls asthenopische Beschwerden verursachen. Es wird auch das Akkommodationsvermögen geprüft, um einen Konvergenzexzess (übermäßige Konvergenz) auszuschließen. Dabei ist zu beachten, dass auch bei normaler Akkommodation die daran gekoppelte Konvergenzbewegung überschießend sein kann (normaler akkommodativer Konvergenzexzess). In diesen Fällen ist selbst bei jungen Patienten eine Lesebrille erforderlich, um das Lesen ohne Akkommodation und damit ohne überschießende Konvergenzreaktion zu ermöglichen. Bei einer Hypoakkommodation können Objekte in der Nähe nicht oder nur unter sehr großen Anstrengungen scharf gestellt werden, sodass auch hier eine Korrekturhilfe erforderlich ist. Um bei einer Esophorie eine Überkompensation einer Exophorie durch Konvergenzanstrengung auszuschließen, sollte bei Heterophorien der Visus auch immer binokular getestet werden. Typischerweise liegt bei diesen Patienten aufgrund der vermehrten Konvergenz und damit auch Akkommodation ein schlechterer binokularer Visus vor.
 
3.
Quantifizierung der Heterophorie: Es werden verschiedene Tests durchgeführt, um das Ausmaß der Heterophorie (= Vergenzruhelage) zu messen.
  • Alternierender Prismenabdecktest: Hierbei wird die dissoziierte Heterophorie gemessen, indem jedes Auge abwechselnd abgedeckt wird, wodurch sich die Fusion aufhebt. Er sollte mit verschiedenen Blickrichtungen durchgeführt werden, um eine inkomitante Störung (z. B. diskrete Parese) aufzudecken. Bei einer reinen Heterophorie sollte der gemessene Schielwinkel in allen Blickrichtungen komitant sein.
  • Dunkelrotglastest an Tangententafel nach Harms
  • Fixationsdisparität: Die Prismenstärke, die erforderlich ist, um eine Fixationsdisparität (Verschiebung der monokularen Teilobjekte vor einem binokular gesehenen Hintergrund) vollständig auszugleichen, wird mithilfe von Noniuslinien und Prismen unterschiedlicher Stärke gemessen. Dieser Test wurde von Ogle geprägt.
  • Mess- und Korrektionsmethode nach Haase (MKH): Die Methode beinhaltet zusätzlich zu den monokular angebotenen Noniuslinien auch binokular wahrgenommene Objekte in der Mitte. Dadurch entsprechen die Testbedingungen eher den natürlichen Sehbedingungen. Die gemessene Verschiebung der Noniuslinien im MKH-Test wird als Fixationsdisparation bezeichnet. Anwender dieser Methode gehen davon aus, dass Patienten mit Fixationsdisparation Schwierigkeiten haben, eine tatsächliche Vergenzfehlstellung vollständig durch Fusion auszugleichen. Die im MKH-Test gemessenen Abweichungen werden von Anwendern auch als „Winkelfehlsichtigkeit“ bezeichnet. Dieser Begriff legt jedoch fälschlicherweise nahe, dass eine Fehlstellung der Augen in einem bestimmten Winkel vorhanden ist. Einige Optiker nutzen dies als Grundlage für die Verschreibung von Prismen, insbesondere bei Kindern mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten. Ziel der MKH-Methode ist, eine jegliche Fusion zu vermeiden und die Augen durch einen kompletten Ausgleich der „Winkelfehlsichtigkeit“ in die Ruheposition zu bringen. Es gibt aber keine valide Evidenz für einen tatsächlichen Effekt einer solchen Behandlung und eine konträre Evidenz für die grundlegenden Annahmen der MKH-Messung. Wenn ein Mikrostrabismus vorliegt, kann das Tragen von Prismengläsern sogar zu einer stetigen Erhöhung der Prismenstärke und letztendlich zu manifestem Schielen führen.
 
4.
Diagnostische Okklusion: Das nicht führende Auge wird vorübergehend (Stunden bis Tage, z. B. Wochenende) abgedeckt mit einem Okklusionspflaster, um festzustellen, ob die einäugige Sicht die Beschwerden reduziert. Das hilft zu bestimmen, ob die Beschwerden mit der Heterophorie zusammenhängen. Dabei sollte der Patient befragt werden, ob an sich einäugiges Sehen als unangenehmer empfunden wird, die normalerweise auslösenden Tätigkeiten (z. B. Lesen, PC-Arbeit) monokular als angenehmer empfunden wurden. Weiterhin sollte erfragt werden, ob der Patient erleichtert ist, wieder binokular zu sehen nach Ende des Versuchs. Das ist häufig aussagekräftiger in Bezug auf den Zusammenhang der Beschwerden mit der Heterophorie.
 
5.
Prismentest: Durch das Halten eines 2- oder 4 cm/m-Prismas vor einem Auge in Relation zum gemessenen Ausmaß und der Lage der Abweichung wird geprüft, ob das Sehen angenehmer ist (z. B. 2-dpt-Basis außen bei V. a. Esophorie). Im Kontrast dazu kann geprüft werden, ob bei entgegengesetzter Basis das Sehen unangenehmer wird. Um einen Placeboeffekt durch die fürsorgliche Zuwendung des Untersuchers auszuschließen, kann auch ein Placeboprisma verwendet werden (s. Abb. 1).
 
5.
Prismentrageversuch: Ist ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der gemessenen Heterophorie als wahrscheinlich anzusehen, kann ein Trageversuch mit einem Prisma erfolgen. Bei horizontaler Abweichung wird ein Prisma verwendet, das etwa der Hälfte oder zwei Dritteln der maximalen Abweichung entspricht. Bei vertikalen Phorien gibt man hingegen meist direkt nahezu den vollen Prismenausgleich (80–90 %). Nach Befestigung des Probeprismas an der Brille des Patienten oder an einem adjustiertem Probiergestell wird der Patient aufgefordert, für ca. ¼ Stunde das Prisma zu erproben. Wenn der Patient danach keine Verbesserung beschreibt, sollte auf eine Ordination einer Prismenbrille verzichtet werden. Alternativ besteht die Möglichkeit, den Patienten mit einer Prismenleiste selbst probieren zu lassen, welche Prismenstärke am angenehmsten empfunden wird. Dabei sollte anschließend das kleinste Prisma eruiert werden, das noch zur Verbesserung der Symptome führt.
 

Differenzialdiagnostik

Generell: Nicht korrigierte Fehlsichtkeit, Akkommodationsstörungen, Keratokonjunktivitis sicca etc.
Dekompensierende Esophorie
  • Degenerative Veränderungen des Kleinhirns
  • Mikrostrabismus convergens mit phorischer Komponente
Dekompensierende Exophorie
  • Ungenügend korrigierte Presbyopie
  • Strabismus divergens intermittens
Der Strabismus divergens intermittens verursacht im Gegensatz zu einer dekompensierenden Exophorie keine Beschwerden, da die Betroffenen typischerweise in den Abweichphasen den Eindruck supprimieren oder Panoramasehen wahrnehmen. Dementsprechend verspüren sie keine Erleichterung durch Prismen.
Vertikalphorie
  • Störungen des Cerebellums, dezente Trochlearisparese (dann auch Senkungsdefizit), endokrine Orbitopathie (Hebungsdefizit)

Therapie

Es gibt verschiedene Ansätze und Methoden, die in der Therapie der Pathophorie eingesetzt werden können. Im Folgenden werden einige gängige Therapiemöglichkeiten aufgezeigt. Dabei ist zu beachten, dass die Evidenzlage ausgesprochen gering ist. Es gibt derzeit keine validen, randomisiert kontrollierten Studien zu diesem Thema. Weiterhin sollte beachtet werden, dass asthenopische Beschwerden typischerweise stark schwanken – auch ohne Therapie –, sodass ein mutmaßlicher Therapieeffekt auch einfach nur der natürlichen Schwankung entsprechen kann. Dementsprechend sollte die Therapie mit Bedacht gewählt und von der Art und Schwere der Heterophorie sowie den individuellen Bedürfnissen des Patienten abhängig gemacht werden.
Prismenverordnung
Etabliert, aus ophthalmologischer Sicht, ist die Verordnung von Prismenfolien. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass nur ein abgeschwächtes Prisma probiert und rezeptiert werden sollte (horizontal 50–70 %, vertikal 80–90 %). Insgesamt sollten neben dem positiven Effekt der Prismen auch die nachteiligen Effekte Berücksichtigung finden: Prismen führen zu dickeren und damit schwereren und potenziell auffälligeren Gläsern, beim Absetzen kann es zu Doppelbildern kommen, Farbsäume können durch eine chromatische Aberration entstehen und die Prismen sind teurer. Diese Nachteile können allerdings teilweise mit modernen Gläsern umgangen werden und fallen bei geringen Prismenwerten (< 6 dpt) weniger stark ins Gewicht.
Es sollte die schwächste Prismenstärke, die die Beschwerden bessert, verordnet werden. Dabei sollten die Prismen i. d. R. auf beide Brillengläser verteilt werden. Bei Patienten, die aufgrund der MKH-Methode „abhängig“ von Prismen gemacht wurden, sollte der Abbau der Prismen erprobt werden.
Voraussetzung für jede Prismenverordnung ist allerdings die korrekte Refraktion, die bei jungen Menschen ggf. auch in Zykloplegie geprüft werden sollte.
Augenmuskeloperation
Patienten mit höheren Phorien, fehlenden refraktiven Fehler und Wunsch nach Brillenlosigkeit oder einer Prismenunverträglichkeit sind ggf. Kandidaten für eine Augenmuskeloperation. Die Indikation sollte jedoch immer sorgfältig geprüft werden.
Augenmuskeltraining
Es gibt kaum Studienbelege, dass spezielle Übungen zur Stärkung und Koordination der Augenmuskeln helfen können, die Heterophorie zu reduzieren. Diese Übungen umfassen oft das Fokussieren auf nahe und ferne Objekte, das Verfolgen von Bewegungen sowie das Training der Augenbewegungen in verschiedene Richtungen. Es ist aber anzunehmen, dass Patienten mit Heterophorie ohnehin im Alltag ständig „üben“, sodass ein zusätzliches Training wenig sinnvoll erscheint. Nur zur Exophorie mit Konvergenzinsuffizienz gibt es eine prospektive Studie mit beschriebenem positivem Effekt der Übungen.

Verlauf und Prognose

Grundlegend stellt die Heterophorie an sich kein Krankheitsbild dar. Die Pathophorie hat eine gute Prognose, wobei der Prismenbedarf im Verlauf zunehmen kann. Dies kann sich so weit steigern, dass eine Augenmuskeloperation notwendig ist.

Zusammenfassung

  • Eine Heterophorie entspricht fast einem „Normalzustand“ (bis zu 80 % der Bevölkerung sind betroffen).
  • Eine Behandlung ist nur notwendig, wenn Beschwerden vorliegen und ein kausaler Zusammenhang besteht.
  • Diagnostik: Anamnese (Zeitpunkt der Beschwerden, neue Brille?), Organbefund (andere Ursachen?), objektive und subjektive Refraktionsbestimmung (ggf. auch mit Zykloplegie bei Esophorie/Akkommodationsstörung), Abdecktest, Motilitätsprüfung, diagnostische Okklusion, Prismenversuch
  • Therapie: Prismenbrille, Augenmuskeloperation, Übungen bei Exophorie und Konvergenzinsuffizienz
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