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Die Urologie
Info
Publiziert am: 08.10.2022

Topische Applikation von antineoplastischen Substanzen in der Tumortherapie

Verfasst von: Arne Strauß und Elmar Heinrich
Die seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzte Rezidiv- und Progressionsprophylaxe des Urothelkarzinoms unterscheiden sich grundlegend in Wirkungsweise und Nebenwirkungsspektrum. Die intravesikale Applikation bedingt die auch meist nur lokalen Nebenwirkungen. Als systemische Nebenwirkungen stehen beim Mitomycin C allergische Reaktionen und bei BCG Fieber und grippeähnliche Symptome im Vordergrund.

Mitomycin C (MMC)

Anwendung

Intravesikale Instillation.

Wirkmechanismus

MMC ist ein Antibiotikum und wird heute nur noch als Zytostatikum eingesetzt. Durch kovalente Bindungen von DNA-Strängen wird die Replikation und Transkription unterbunden. Die so verursachten irreparablen DNA-Schäden führen über einen Zellzyklusarrest zur Apoptose.

Applikationsform

Intravesikale Applikation über einen Katheter. Die Lösung in der Konzentration 1 mg/ml (max. 40 mg) soll 2 h in der Blase bleiben. Idealerweise sollte vor Applikation die Flüssigkeitszufuhr und damit die Diurese reduziert werden, um eine Verdünnung zu vermeiden.

Dosierung

20/40 mg in 40 ml 0,9 %-NaCl-Lösung in die Blase instilliert. Nach einer direkt postoperativen Instillation sollten im Abstand von 4 Wochen weitere 8 wöchentliche sowie 6 monatliche Instillationen erfolgen.

Toxizitäten

Entzündliche Reaktion der Blasenschleimhaut bei ca. 3–30 % der Patienten. Allergische Reaktionen 1–19 %. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um eine Kontaktdermatitis, meist in Form von Palmar- und Plantarerythemen. Sehr seltene Nebenwirkungen sind intravesikale Plaquebildung, Thrombo- und Leukopenie, Einzelfallberichte liegen für nekrotisierende Zystitiden vor.

Supportivmaßnahmen

Zystitische Beschwerden sollen symptomatisch durch antiphlogistische und analgetische Maßnahmen behandelt werden.

Wechselwirkungen

Bei intravesikaler Gabe keine bekannten Wechselwirkungen.

Kontraindikationen

Blasenperforation, Schwangerschaft, Stillzeit, aktive Zystitis (relativ).

Bacille Calmette et Guérin (BCG)

Anwendung

Behandlung nichtinvasiver urothelialer Harnblasenkarzinome. Kurative Behandlung eines Carcinoma in situ. Prophylaktische Behandlung zur Vermeidung eines erneuten Auftretens von urothelialen Karzinomen der Tumorstadien Ta G1-G2 multifokal und/oder Tumorrezidiv bei Ta-G3-Tumoren, T1 und CIS.

Wirkmechanismus

Das avirulente Mykobakterium führt bei intravesikaler Applikation zur lokalen Aktivierung immunaktiver Zellen. Ein direkter zytostatischer Wirkmechanismus konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Unterschiede in der Wirksamkeit unterschiedlicher Bakterienstämme wurden bisher nicht berichtet.

Applikationsform

Intravesikale Instillation über einen Katheter.

Dosierung

Eine Instillation enthält mindestens 2-mal 108 und maximal 3-mal 109 lebensfähige Einheiten von BCG (Bacillus Calmette-Guérin)-Bakterien. Im 2-wöchigen Abstand zur transurethalen Resektion (TUR) erfolgt die erste von insgesamt 6 wöchentlichen Instillationen (Morales et al. 1976). Die Schemata einer weiterführenden Erhaltungstherapie variieren in Anwendungsdauer und -häufigkeit.

Toxizitäten

Sehr häufig: Übelkeit, Zystitis und entzündliche Reaktionen (Granulomata) der Blase, erhöhte Miktionsfrequenz mit Schmerzen und Unwohlsein, asymptomatische granulomatöse Prostatitis, Fieber <38,5 °C, grippeähnliche Symptome (Unwohlsein, Fieber, Schüttelfrost).
Häufig: Fieber >38,5 °C.
Gelegentlich: Zytopenie, Anämie, Reiter-Syndrom (Konjunktivitis, asymmetrische Oligoarthritis und Zystitis), miliare Pneumonie, Lungengranulomatose, Hepatitis, Exantheme, Hautabszesse, Arthritis, Arthralgie, Harnwegsinfektion, Makrohämaturie, Einschränkung der Blasenkapazität, Harnstauung, Orchitis, Epididymitis, arterielle Hypotonie.
Selten: BCG-Sepsis, Gefäßinfektionen (z. B. infiziertes Aneurysma), Nierenabszess, symptomatische granulomatöse Prostatitis.
Sehr selten: BCG-Infektion von Implantaten und dem umgebenden Gewebe (z. B. Aortentransplantat, Defibrillator, Hüft- oder Knieprothese, zervikale Lymphadenitis, regionale Lymphknoteninfektion, Hypersensitivitätsreaktionen, Osteomyelitis, Knochenmarkinfektion, Psoas-Abszess, Chorioretinitis, Konjunktivitis, Uveitis, Gefäßfisteln, Erbrechen, intestinale Fisteln, Peritonitis, gegenüber Tuberkulostatika resistente Orchitis oder Epididymitis. Infektion der Glans penis).
(Siehe auch 2.9, Sicherheitshinweis.)

Supportivmaßnahmen

Tab. 1.
Tab. 1
Supportivmaßnahmen bei BCG-Therapie
Symptom/Nebenwirkung
Behandlung
Zystitische Beschwerden <48 h
Symptomatische Behandlung mit NSAID
Zystitische Beschwerden >48 h
Pausierung der Therapie, Fluorchinolontherapie für 10 Tage, falls keine Besserung Isoniazid für 3 Monate und Abbruch der Therapie
Bakterielle Zystitis
Pausierung der Therapie, bis antibiotische Therapie erfolgreich abgeschlossen ist
Granulomatöse Prostatitis, Epididymitis, Orchitis, Harnstau etc.
Pausierung der Therapie, Isoniazid und Rifampicin für 3–6 Monate. Abbruch bei tuberkulostatischer Therapie
Fieber <38,5 °C
Hautreaktion, Arthritis, Reiter-Syndrom, Arthralgie
Pausierung der Therapie, Anithistaminika und NSAID. Bei Persistenz Isoniazid für 3 Monate. Abbruch bei tuberkulostatischer Therapie
Systemische BCG-Reaktion ohne septischen Schock
Therapieabbruch, tuberkulostatische Therapie (dreifach) für 6 Monate. Interdisziplinäre Behandlung
Systemische BCG-Reaktion mit septischem Schock
Therapieabbruch, sofortige tuberkulostatische Therapie (dreifach) und Hochdosis-Kortikoidtherapie. Interdisziplinäre Behandlung
NSAID „nonsteroidal antiinflammatory drugs“

Wechselwirkungen

BCG ist sensibel auf folgende Antibiotika: Tuberkulostatika, Cotrim, Aminoglykoside, Nitrofurantoin, β-Lactame, Cephalosporine, Chinolone, Tetrazykline. Der Einsatz dieser Antibiotika sollte daher während einer BCG-Therapie vermieden werden, da es zur verminderten Wirksamkeit kommen kann.

Kontraindikationen

Blasenperforation, traumatische Katheterisierung. Aktive Tuberkulose bzw. laufende tuberkulostatische Therapie. Bei Patienten mit positivem HLA-B27 kann vermehrt eine reaktive Arthritis oder ein Reiter-Syndrom auftreten. Immunsuppression, angeborene oder erworbene Immunschwäche (HIV, Leukämie, Lymphome, zytostatische Therapie, Radiatio). Stillzeit und Schwangerschaft.

Sicherheitshinweis

Zu BCG wurde 2020 ein Rote-Hand-Brief veröffentlicht, da Einzelfallberichte gezeigt haben, dass ein Risiko für das Aufflammen von latenten BCG-Infektionen besteht. Der Rote-Hand-Brief betrifft nur einen Hersteller, es ist jedoch davon auszugehen, dass auch bei Präparaten anderer Hersteller eine vergleichbare Situation besteht.
Die Infektionen können potenziell tödlich verlaufen. Daher sollten folgende Dinge bei der Anwendung von BCG beachtet werden (Auszug aus Rote Hand Brief 03/2020):
1.
Eine adäquate Behandlung der latenten BCG-Infektion ist von größter Wichtigkeit.
 
2.
Eine latente BCG-Infektion kann auch noch Jahre nach Beendigung der BCG-Behandlung aufflammen.
 
3.
Beim Auftreten einer systemischen BCG-Infektion sollte eine Infektiologin/ein Infektiologe zu Rate gezogen werden, da der Krankheitsverlauf dem einer Infektion mit M. tuberculosis gleicht.
 
4.
Vor der ersten Verabreichung von BCG sollten Patienten über die Symptome einer schweren systemischen Reaktion/Infektion aufgeklärt und die Patientenkarte mit den Angaben des Patienten und des Urologen ausgefüllt werden.
 
5.
Die Patienten sollten die Patienten-Informationskarte stets bei sich tragen und sie bei jedem Arztbesuch dem jeweiligen Personal (Hausarzt, Krankenhausarzt) vorzeigen, um im Falle einer systemischen Infektion eine angemessene Behandlung sicherzustellen.
 

Zusammenfassung

  • Mitomycin C: insgesamt sehr gute Verträglichkeit. Wesentlichste Nebenwirkung: allergische Reaktionen.
  • BCG: hochkomplexes Therapeutikum, in seiner Wirkungsweise noch nicht vollständig erforscht. Vor Therapiebeginn Immunstatus des Patienten beachten. Supportivmaßnahmen (ggf. Tuberkulostatika) frühzeitig einleiten.
Literatur
Morales A, Eidinger D, Bruce AW (1976) Intracavitary bacillus Calmette-Guerin in the treatment of superficial bladder tumors. J Urol 116(2):180–183CrossRef