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Rehabilitationsstrategien bei Vorliegen einer therapieinduzierten Polyneuropathie

Verfasst von: Monika Steimann, Fiona Streckmann und Hans Helge Bartsch
Die therapieinduzierte Polyneuropathie ist eine oft unterschätzte Langzeitnebenwirkung moderner onkologischer Therapien. Die Rehabilitationsdiagnostik zielt deshalb darauf, Ausmaß und funktionelle Beeinträchtigungen im Alltag festzustellen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Überprüfung des Lagesinns anhand des Vibrationsempfindens und Funktionstests zu (Romberg-Stehversuch, Tandemstand, Münzenaufheben oder Schriftprobe). Bei der Rehabilitationszielvereinbarung mit dem Patienten ist der Coasting-Effekt zu beachten. Das Erlernen von Übungen, die zu Hause fortgesetzt werden können, steht im Vordergrund. Rehabilitation bietet einen multimodalen, intensiven, symptomatischen und aktiven Therapieansatz. Symptomatisch wirken hydrogalvanische Bäder und Vibrationsplatten. Aktive Sporttherapien umfassen Gleichgewichts- und Koordinationstraining. Dabei sind kurze Übungszeiten und ausreichende Pausen zu beachten. Der multimodale Ansatz ermöglicht oftmals die berufliche Wiedereingliederung.

Epidemiologie

Eine typische Langzeitnebenwirkung vieler moderner Tumortherapien kann eine therapieinduzierte Polyneuropathie (TIN) sein. Zytostatika wie Platinderivate, Vincaalkaloide und Taxane können eine chemotherapieinduzierte Polyneuropathie, (CIPN; chemotherapieinduzierte Neuropathie, CIN) auslösen. Die Einführung neuer Substanzgruppen hat diese Nebenwirkung weiter zunehmen lassen. Moderne Signalwegtherapien (z. B. Sunitinib), Proteasominhibitoren, Eribulin, aber auch Antikörpertherapien können therapieinduzierte Neuropathien verursachen.
Allgemein wird eine Häufigkeit von 30–40 % angegeben, die Zahlen schwanken in Abhängigkeit von den Tumorentitäten, Substanzen und Therapieregimen sowie Assessments (10–90 %) (Staff et al. 2017). Rehabilitanden, die eine potenziell neurotoxische Therapie erhalten haben, klagen zu 60–90 % über Taubheit, Missempfindungen oder gar Beeinträchtigungen in Alltag und Beruf (Pachmann et al. 2015), in einer neueren Versorgungsstudie zu 52,7 % (Shah et al. JNNP 2018).
Erhebliche Unterschiede bestehen zwischen der Selbsteinschätzung der Patienten: Während 67 % der Patienten über erhebliche Symptome klagten, stellten Ärzte nur bei 28 % eine Polyneuropathie vom Grad >II fest (Park et al. 2017).

Ätiologie und Pathogenese

Die Neurotoxizität ist abhängig von
  • der Höhe der Einzeldosis,
  • der Kumulativdosis und
  • der Therapiedauer.
Ein engmaschiges klinisches Monitoring während der Therapie mit klinischer Untersuchung vor jedem Zyklus ist obligat um Dosis, Therapieintervalle oder -regime rechtzeitig anzupassen und schwerwiegenden Beeinträchtigungen vorzubeugen.
In Zukunft könnte die Identifizierung genetischer Risikofaktoren für den Metabolismus bestimmter Zytostatika, z. B. Platin oder Vincristin, relevant werden (Avan et al. 2015; Diouf et al. 2015).
Verschiedene Schädigungsmuster des gesamten Neurons entlang des Wegs vom Zellkörper bis zur Endplatte werden aufgrund neuerer Daten aus der Grundlagenforschung diskutiert. Neben der bisherigen Unterscheidung zwischen Myelinscheiden- oder axonaler Schädigung werden Mitochondrienschädigung, oxidativer Stress oder eine Schädigung der nerveneigenen Blutgefäße diskutiert (Park et al. 2013).
Beispielsweise entwickeln sich unter Oxaliplatin mit zunehmender Therapiedauer bei 73 % Strukturschäden an Spinalganglien und peripheren Nerven (Avan et al. 2015, vgl. DÄB). Eine Störung des axonalen Transports mag mit dem für Platinderivate, seltener auch Vincaalkaloide typischen Phänomen des Coastings korrelieren, der zunächst weiteren Zunahme der Symptome mit einem Höhepunkt etwa 3–4 Monate nach Absetzen der Substanz.
Im Fall von Bortezomib tritt vorwiegend eine Small-Fiber-Neuropathie auf.
Checkpoint-Inhibitoren können Immunneuropathien induzieren, die nach den entsprechenden Regeln behandelt werden.

Klinisches Bild

Typisch ist eine symmetrisch sensorische Polyneuropathie, distal beginnend und sich ggf. nach proximal ausbreitend. Dabei werden Minussymptome wie Pelzigkeits- und Taubheitsgefühl von Plussymptomen wie Kribbelparästhesien, brennenden und stechenden Schmerzen, Kälte- und Wärmeparästhesien unterschieden.
Taxane gehen häufig mit einer sensomotorischen Polyneuropathie einher, initial mit Muskelkrämpfen und Faszikulationen, bis hin zu Muskelschwäche, Paresen, Gangunsicherheit und Verlust der Gleichgewichtskontrolle.
Autonome Symptome wie trockene Haut, Verlust der Körperbehaarung, Blendungsgefühl, Herzrasen und orthostatische Dysregulation, gastrointestinale Beschwerden, Blasenentleerungsstörung und erektile Dysfunktion können Ausdruck einer Beteiligung des vegetativen Nervensystems sein, typisch ist dies z. B. für Vincaalkaloide.
Chronische Schmerzen gehen mit etwa 40 % der CIPN einher, wobei eine neuropathische und eine sekundäre, auf muskulärer Fehlfunktion beruhende myofasziale Komponente bestehen können.
Die Small-Fiber-Neuropathie ist eine PNP der dünnen unmyelinisierten Nervenfasern, die der üblichen Elektrophysiologie entgeht. Sie äußert sich mit brennenden Schmerzen. Eine quantitative sensorische Testung (QST) und/oder Hautbiopsie zum Nachweis einer reduzierten Nervenfaserdichte ist indiziert (Sommer et al. 2018).
Andere Ursachen bzw. Risikofaktoren einer Polyneuropathie sind abzugrenzen. Am häufigsten sind die diabetische Neuropathie und die alkoholassoziierte Polyneuropathie. Polyneuropathien können durch eine Vielzahl anderer Medikamente (u. a. Antiinfektiva, Immunsuppressiva, Psychopharmaka) bzw. postinfektiös, endogen metabolisch (Vitaminmangel und Vitaminüberdosierung), immunologisch oder paraproteinämisch (z. B. MGUS, monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz) hervorgerufen werden.

Rehabilitationsdiagnostik

Die klinische Funktionsdiagnostik steht im Vordergrund. Dabei geht es zum einen darum, die geklagten Beschwerden nach Möglichkeit zu objektivieren. Zum anderen soll das Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung in Alltag und Beruf erfasst werden.
Die Oberflächensensibilität wird qualitativ und quantitativ im Hinblick auf die Ausdehnung der Symptome untersucht. Minussymptome (Hypästhesie) werden in der Regel mit dem Berührempfinden überprüft. Plussymptome (Dysästhesie, Allodynie) lassen sich gut mit einem Wattebausch oder einer Nadel untersuchen. Die Defizite sind oft deutlich ausgedehnter als vom Patienten angegeben. Zur Warm-Kalt-Diskrimination soll zwischen Metall und Plastik (Thermästhesiestift) unterschieden werden.
Neuropathische Schmerzen lassen sich gut auf der visuellen Analogskala von 1–10 quantifizieren und im Verlauf beurteilen. Aufwendigere Testverfahren wie PD-Q oder Pain Disability Index sind in der Regel nicht erforderlich.
Als Qualität der Tiefensensibilität wird das Vibrationsempfinden anhand der semiquantitativen 8/8-Einteilung der Stimmgabel nach Rydel-Seiffer untersucht. Das Vibrationsempfinden ist altersabhängig. 5/8 und weniger gilt für junge Patienten als pathologisch, für ältere 4/8 und weniger. Einen für die Standsicherheit funktionell relevanten Ausfall des Lagesinns stellt der Romberg-Stehversuch fest (mit geschlossenen Augen 30 Sekunden stehen) durch Abgrenzung von einer Kleinhirnschädigung.
Die klinische Untersuchung umfasst die Prüfung aller Muskeleigenreflexe, insbesondere den Achillessehnenreflex.
Zur orientierenden Kraftprüfung dienen Zehen- und Fersengang. Bei sensomotorischen Verlaufsformen oder sekundären motorischen Defiziten mit Paresen oder Muskelatrophien wird eine grob orientierende Kraftprüfung großer Muskelgruppen mit Festlegung des verblieben Kraftgrads durchgeführt.
Hinweise auf alltagsrelevante Funktionseinschränkungen können kleine Aufgaben wie das Aufheben von Büroklammern, Seitenumblättern, Knöpfen, Aufdrehen einer Flasche und das Einholen einer Schriftprobe geben. Die Stand- und Gangsicherheit sowie das Gangbild werden im Tandemstand und Tandemgang sowie im 6-Minuten-Gehtest deutlich.
Die resultierende Funktionsdiagnose erfolgt obligat mit einer Gradeinteilung. Dazu bieten sich die Commen Toxicity Criteria (CTCAE, Common Terminology Criteria for Adverse Events) des National Cancer Instituts (NCI) an (Tab. 1).
Tab. 1
Common Toxicity Criteria der peripheren sensorischen Neuropathie (v5.0)
Grad
Beschreibung
I
Verlust der Muskeleigenreflexe, ansonsten überwiegend asymptomatisch, Parästhesien (einschließlich Kribbeln) ohne Einfluss auf die Funktion
II
Mäßige Symptome: objektive Sensibilitätsausfälle oder Parästhesien mit kompensierbaren Funktionseinbußen ohne Einfluss auf die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL)
III
Schwere Symptome: Sensibilitätsverlust oder Parästhesien mit Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens und der Selbstversorgung
IV
Lebensbedrohliche Symptome, dringender Behandlungsbedarf. andauernde Sensibilitätsverluste mir schwerwiegenden Einschränkungen der ADL
V

Rehabilitative Therapie

Ein multimodaler, intensiver Therapieansatz ist integraler Bestandteil der modernen onkologischen Rehabilitation der CIPN. Der multimodale Ansatz umfasst
  • symptomatische Maßnahmen (wie Schmerztherapie, Balneologie und Elektrotherapie) und
  • aktivierendes Training (Sensomotoriktraining, Gleichgewichts- und Geschicklichkeitstraining) integriert in Ergotherapie,
  • Physiotherapie und
  • Sportangebote.
Rationale ist, die betroffenen Hände und Füße möglichst viel zu bewegen und unterschiedlichen Reizen auszusetzen, um eine Regeneration der Nerven und die funktionellen Fähigkeiten zu fördern.
Ziele sind das Wiedererlangen der bisherigen Fähigkeiten der betroffenen Extremitäten bzw. ein Funktionserhalt und eine günstige Beeinflussung des funktionellen Verlaufs. Dazu dient das Einüben von Trainingsprogrammen für zu Hause, die den nachhaltigen Erfolg der Rehabilitation sichern.

Rehabilitationsziele

Prinzip der Rehabilitationszielvereinbarung ist die aktive Einbeziehung des Patienten und seine Mitverantwortung für den Verlauf. Aufgrund des typischen Verlaufs der CIPN, insbesondere des Coastings, ist eine Symptombesserung innerhalb der kurzen Zeit der Rehabilitation nicht sicher zu erwarten, sehr wohl aber ein funktioneller Effekt. Dies wird mit den Patienten besprochen. Die Formulierungen zielen deshalb auf das Erlernen von Übungen, die zu Hause selbstständig fortgesetzt werden können. Beispiele sind:
  • Erlernen eines Übungsprogramms zur Verbesserung der Fingerfeinmotorik
  • Erlernen eines Übungsprogramms zur Verbesserung der Griffsicherheit
  • Erlernen eines Gleichgewichtstrainings

Symptomatische Therapie

Bei schmerzhaften Verlaufsformen mit neuropathischen Schmerzen bzw. schmerzhaften Missempfindungen steht eine konsequente medikamentöse Schmerztherapie im Vordergrund. Der Patient kann durch Führen eines Schmerztagebuches einbezogen werden. Realistisches Ziel ist eine Senkung der Schmerzen auf 50 % des Ausgangsniveaus bzw. die Ermöglichung der Bewältigung von Alltagsanforderungen. Die Vermittlung dieser Zielvorstellung ist entscheidend für die weitere Lebensqualität. Medikamente der 1. Wahl sind Gabapentin, Pregabalin, Duloxetin und trizyklische Antidepressiva, wobei das Nebenwirkungsprofil zu beachten ist (Tab. 2).
Tab. 2
Therapie neuropathischer Schmerzen. (Modifiziert nach Finnerup et al. 2015; Sommer et al. 2018; Leitlinienprogramm Onkologie 2017)
Wirkstoff
Empfehlung; Evidenzgrad
Wirkweise/Bemerkung
Gabapentin/Pregabalin
Mittel der 1. Wahl; Ia
Besonders bei zentraler Sensibilisierung (Hyperalgesie, Allodynie)
Trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin)
Mittel der 1. Wahl; Ia
Natriumkanalblocker und Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Duloxetin/Venlafaxin
Mittel der 1. Wahl;
Duloxetin: Ia
Venlafaxin: Ib
Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Duloxetin in Deutschland für diabetische Polyneuropathie zugelassen
Venlafaxin off-label
Mittel der 2. Wahl; IIb
Schwaches Opioid mit geringen SSRI-Eigenschaften
Gewöhnung, Übelkeit
Starke Opioide
Mittel der 3. Wahl; IIb
Cave: opioidinduzierte Hyperalgesie; Gewöhnung, Missbrauch, wenig Langzeitdaten
Topika
8 %iges Capsaicin-Pflaster
Mittel der 2. Wahl; Ib
Bei fokalen Schmerzsyndromen
Lidocain-Pflaster
Mittel der 2. Wahl; IIb
Bei fokalen Schmerzsyndromen
Mentholsalbe 1 %
Expertenkonsens
Aktivierung der TRP- Ionenkanäle („transient receptor potential channels“), Reduktion der Schmerzen, Verbesserung der Funktionalität und Sensibilität
Topische Therapien können einen unterstützenden Effekt haben. Sinnvoll ist dabei die Hautpflege, Vorbeugung kleinster Verletzungen und Selbstzuwendung. Mentholsalbe (1 %) kann eingesetzt werden.
Zur Behandlung von Plus- oder Minussymptomen gibt es keine überzeugenden medikamentösen Ansätze. Insbesondere sollte auf E- und B-Vitamine verzichtet werden, da Reviews keinen Nutzen zeigen, im Gegenteil, es werden potenziell neurotoxische Effekte beschrieben (Hershmann et al. 2014).

Physikalische Therapien

Hydrogalvanische Teilbäder, also Zwei- oder Vierzellenbäder für Hände und/oder Füße, kommen typischerweise zum Einsatz. Sie sollen mittels zellulärer Elektrolytverschiebung eine gesteigerte Erregbarkeit an den betroffenen Nerven auslösen. Alternativ kann eine Reizstrom- oder Magnetfeldtherapie (Rick et al. 2017) erfolgen. Studien zur Wirksamkeit der physikalischen Verfahren sind praktisch nicht verfügbar. Der subjektive Erfolg wird von 52 % der Rehabilitanden als sehr effektiv oder effektiv bezeichnet (Vogt et al. 2010). Der Einsatz sollte sich am subjektiven Erfolg orientieren.
Whole-Body-Vibration, wie bereits in vielen Sportstudios angeboten, ist Gegenstand laufender sportmedizinischer Untersuchungen (Streckmann et al. 2019). Bisher zeigen sich eine subjektive Symptomverbesserung, Schmerzlinderung und Hinweise auf funktionelle Verbesserungen (gemessen im Chair-Rising-Test; Schönsteiner et al. 2017). Allerdings ist eine standardisierte Durchführung noch zu definieren. Insbesondere scheint eine hohe Frequenz für die Neuroregeneration erforderlich, wohingegen in der Praxis oft niedrige Frequenzen mit massageähnlichem Effekt gewählt werden. Die Rehabilitanden stehen auf dem Vorfuß (bzw. zumindest mit einer Gewichtsverteilung 80:20 auf dem Vorfuß), um die Streckerkette zu aktivieren und Nebenwirkungen zu minimieren. Kontraindikationen, wie z. B. Osteolysen, sind zu beachten (Streckmann et al. 2014a).

Aktive Trainingstherapien

Körperliche Aktivität hat einen positiven Effekt auf den Verlauf einer therapieinduzierten PNP. Dabei scheinen Gleichgewichts- und Koordinationsübungen am effektivsten, reines Ausdauer- oder Krafttraining weniger effektiv. Belegt wird dies durch die Daten zum Sensomotoriktraining. Therapiebegleitend während einer Chemotherapie durchgeführtes Sensomotoriktraining verbessert Gleichgewicht und Stolperreflexe im Verlauf und im Vergleich zur Kontrollgruppe (Streckmann et al. 2011). Auch nach Ausbildung einer CIPN können durch Sensomotoriktraining Symptome wie die reduzierte Tiefensensibilität, Verlust des Gleichgewichts, das verminderte Aktivitätsniveau sowie die Lebensqualität verbessert werden (Streckmann et al. 2014a, b).
Bei der praktischen Durchführung steigert man die Übungen vom Beidbeinstand über den Tandemstand zum Einbeinstand bzw. von festem über weichen zu wackeligem Untergrund. Zusätzliche Anforderungen können das Schließen der Augen oder mentale Zusatzaufgaben sein. Im Gegensatz zu sonstigen Sportempfehlungen ist auf kurze Übungszeiten (20 Sekunden), Pausen (20–40 Sekunden), eine geringe Zahl von Wiederholungen bzw. Übungsserien zu achten. Es gilt für jeden Patienten die individuelle Anforderungsschwelle zu finden (Abb. 1).

Sport

Die sporttherapeutischen Angebote in der Rehabilitation umfassen Ausdauer-, Kraft- und Koordinationstraining. Günstig sind spielerische Fitnessangebote und Tanztherapie. Auch asiatische Sportarten werden als hilfreich erfahren. Bei stärkeren Einschränkungen bietet sich Qigong an, fordernder sind Tai-Chi und Yoga.

Physiotherapie

Eine Domäne der Krankengymnastik ist die Verbesserung der Stand- und Gangsicherheit, Gleichgewichtssicherung sowie Propriozeption bei schwerer Betroffenen (Grad III und IV). Hände und Füße sollen so viel wie möglich in Form gezielter Stimulations- und Koordinationsübungen bewegt werden. Bei Paresen wird angestrebt, die Muskelkraft und -funktion zu erhöhen sowie die muskuläre Balance zu erhalten oder wiederherzustellen, um Deformitäten oder Kontrakturen vorzubeugen (Sommer et al. 2018).

Ergotherapie

Die Ergotherapie folgt dem Prinzip, durch mechanische Reize, die Nervenaktivität und Feinmotorik zu verbessern bzw. zu normalisieren. Aktive Stimulierung stellt das Gehen oder Treten in Granulat dar, beispielsweise in einer Wanne mit Erbsen oder Körnern, auf einem Barfußparcour oder im Sand; für die Hände entsprechend Rapskneten oder Greifen in Körnerbädern mit Ertasten darin versteckter kleiner Gegenstände. Mechanische Reize können auch durch Hilfsmittel wie Igelbälle oder -rollen, Bürsten oder Fingermassageringe gesetzt werden.
Dem Ziel des motorischen Funktionserhalts dient das Arbeiten mit Therapieknete in unterschiedlichen Härten. Berufliche Anforderungen an Fein- und Grobmotorik können gezielt trainiert werden, z. B. beim Schreibtraining am PC.
Ergänzend kann eine Hilfsmittelversorgung hilfreich sein, z. B. die Verwendung verstärkter Griffe, Schraub- oder Knöpfhilfen.

Information und Schulung

Begleitet werden die aktiven Trainingsangebote von Informationsvermittlung. Die Rehabilitanden erlernen eine regelmäßige Hautpflege, die Hautelastizität und Regeneration verbessert. Regelmäßige Hautpflege hilft darüber hinaus, kleine Verletzungen und Druckstellen zu erkennen, die aufgrund der Sensibilitätsstörung nicht wahrzunehmen sind.
Die Bedeutung der visuellen Kontrolle zur Kompensation der gestörten sensiblen Wahrnehmung z. B. von Unebenheiten im Gelände und damit zur Sturzprophylaxe wird vermittelt. Intensivierte visuelle Kontrolle ermöglicht sicheres Gehen. Übungen zur Sturzprophylaxe werden ergänzend empfohlen. Die Rehabilitanden erhalten entsprechende Informationsmaterialien ausgehändigt (www.bremerkrebsgesellschaft.de, www.krebshamburg.de).

Medizinisch-berufliche Orientierung in der Rehabilitation

Mehrheitlich (55 %) erwarten Rehabilitanden zu Beginn einer Rehabilitation durch die CIPN mittelgradige oder erhebliche Einschränkungen in ihrer weiteren Berufsausübung. Durch das geschilderte multimodale Therapieprogramm gelingt es, diesen Anteil signifikant zu senken (befürchtete erhebliche Einschränkungen von 31 % auf 11 %). Entsprechend gelingt die berufliche Reintegration bei onkologischen Rehabilitanden mit CIPN (v. a. Grad II) ganz überwiegend (Vogt et al. 2010). Die verschiedenen Möglichkeiten der stufenweisen Wiedereingliederung tragen dazu in der Regel erheblich bei, indem sich die Rehabilitanden in die beruflichen Anforderungen wieder hineintrainieren können.
Für Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) und bleibenden gravierenden Einschränkungen wird bereits während der Rehabilitation ein berufsorientiertes Schwerpunktprogramm angeboten (MBOR, medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation) angeboten. Ziel ist, gemeinsam mit dem Rehabilitanden eine neue berufliche Perspektive zu entwickeln. Dazu dienen themenspezifische psychologische Einzelgespräche, Sozialberatung, Arbeitsplatzberatung und -training (einschließlich Einstellungen in der Systemsteuerung des PC), eine ergonomische Arbeitsplatzberatung.
Dem Nachteilsausgleich dient der Schwerbehindertenausweis. Bei der Beantragung des Grads der Behinderung werden sensible Störungen mit Beeinträchtigungen der Feinbewegungen mit angegeben und in Analogie zu peripheren Nervenschäden mit einem GdB (Grad der Behinerung) zwischen 30 und 80 berücksichtigt. Empfindungsstörungen der Finger können die Gebrauchsfähigkeit der Hand wesentlich beeinträchtigen.
Der konsekutive Kündigungsschutz und zusätzliche Urlaubstage sichern die Nachhaltigkeit der beruflichen Reintegration.

Sozialmedizinische Leistungseinschätzung

Die abschließende sozialmedizinische Beurteilung gründet sich in Bezug auf die TIN auf die während der Rehabilitation erfassten Befunde und Einschätzungen. Ausgehend von einer ausführlichen Berufsanamnese werden die vorliegenden Fähigkeitseinschränkungen in Hinblick auf die Teilhabe am Erwerbsleben erarbeitet.
Zu beschreiben sind dauerhafte, über einen Zeitraum von 6 Monaten hinausgehende Fähigkeitseinschränkungen (Tab. 3) und ihre Relevanz für die Teilhabe am beruflichen Leben. Die sozialmedizinische Relevanz ergibt sich für die letzte berufliche Tätigkeit aus der konkreten Arbeitsplatzbeschreibung. Bei der zusätzlichen Beurteilung im Hinblick auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sind bei einer persistierenden CIPN zahlreiche qualitative Einschränkungen zu berücksichtigen.
Tab. 3
Sozialmedizinisch relevante Einschränkungen bei CIPN. (Modifiziert nach Steimann et al. 2011)
Tätigkeiten mit funktionellen Einschränkungen der Füße
Tätigkeiten mit funktionellen Einschränkungen der Hände
Stand- und Gangsicherheit
- Bei längerem Gehen
- Bei längerem Stehen
Bei der Trittsicherheit
Bei Arbeiten auf Leitern und Gerüsten
Führen von Fahrzeugen und Steuern von Maschinen
Beim Schreiben
Bei Computerarbeiten (Tastatur)
Bei feinmotorische Tätigkeiten
- Geld zählen
- Umblättern
- Knöpfe auf/zuknöpfen
Drehbewegungen (Kombination aus Kraft und Koordination)
Sicheres Halten von Werkzeugen/Gegenständen
Ein besonderes sozialmedizinisches Problem bei Patienten mit persistierender und schwerwiegender CIPN ist die Beurteilung der Wegefähigkeit bzw. die Fähigkeit zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Fahrtüchtigkeit bzw. das Führen von Maschinen müssen unter dem Aspekt einer CIPN beurteilt werden. Nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung ist, wer an neuropathischen Schädigungen leidet, die zu einer relevanten Beeinträchtigung der motorischen Funktionen (Kraftgrad 4 und kleiner) führen, nicht in der Lage, dem Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die erforderlichen Bewegungen in ausreichendem Umfang mit ausreichender Schnelligkeit möglich sind. Zu prüfen ist auch, ob zusätzlich sensible Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung der Koordination (Ataxie, Stereognosie) nach sich ziehen (Schubert et al. 2005). Bei nicht sicher beurteilbarer Fahreignung wird eine supervidierte Fahrerprobung (z. B. beim TÜV oder der DEKRA) empfohlen.
Aus der sich ergebenden Leistungseinschätzung heraus können Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben empfohlen werden. Bei unklarer Leistungseinschätzung kommt zunächst eine Arbeitsplatzerprobung infrage, am besten unter Einbeziehung des zuständigen Betriebsarztes. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben können Hilfsmittel für eine leidensgerechte Umgestaltung des vorhandenen Arbeitsplatzes sein oder Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen.
Diese Prozesse werden regelhaft im Rahmen einer onkologischen Rehabilitation geprüft und ggf. eingeleitet. Dadurch können Arbeitsunfähigkeitszeiten und daraus resultierende soziale Nachteile (wie Unterbrechung der Erwerbsbiografie, finanzielle Einbußen durch Bezug von Lohnersatzleistungen, verringerte Sozialleistungsansprüche durch verminderte Beitragszahlungen) so kurz wie möglich gehalten werden.
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