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Pädiatrie
Info
Publiziert am: 11.04.2019

Bakterielle Infektionen bei Kindern und Jugendlichen: Anaerobier

Verfasst von: Reinhard Berner, Markus Hufnagel, Roland Elling und Klaus-Michael Keller
Anaerobier-Infektionen spielen eine vergleichsweise geringe Rolle in der Pädiatrie. Unter besonderen Bedingungen kann es jedoch zu sehr schwer verlaufenden Erkrankungen kommen, die mit einer hohen Mortalität und Morbidität assoziiert sind. Dazu gehören neben der Anaerobier-Sepsis, Organabszessen und Weichgewebeinfektionen nicht zuletzt die spezifischen Krankheitsentitäten Tetanus, Botulismus oder Gasbrand.

Einleitung

R. Berner
Definition
Anaerobe Bakterien sind ein wesentlicher Teil der physiologischen Haut- und Schleimhautflora und haben eine wichtige natürliche Barrierefunktion. Sie können in seltenen Fällen, insbesondere, wenn sie in tiefere Gewebeschichten mit geringer O2-Spannung eindringen, bei Verletzungen oder Schädigungen der Haut oder Schleimhaut sowie unter Immunsuppression, Erkrankungen verursachen, die mit einer hohen Mortalität und Morbidität assoziiert sind.
Epidemiologie
Zur Häufigkeit von Anaerobier-Infektionen bei Kindern gibt es nur wenig belastbare Daten, da die Angaben z. B. zur Rate von Anaerobier-Infektionen als Ursache von Bakteriämien bei Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern und im Kindesalter stark schwanken. Klar ist allerdings, dass sie im Vergleich zu Infektionen durch aerobe Keime nur einen kleinen Bruchteil ausmachen. Der häufigste anaerobe Erreger ist Bacteroides fragilis, weitere wichtige Erreger sind Clostridien, Peptostreptokokken und Fusobakterien. Meist handelt es sich um endogene Infektionen, da anaerobe Bakterien zur wirtseigenen Flora gehören. Dies gilt naturgemäß nicht für Wundinfektionen nach Verletzungen oder nach Tier- oder Menschenbissen.
Mikrobiologie
Anaerobier stellen eine sehr heterogene Gruppe an Bakterien dar, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich in der Regel ausschließlich (oder zumindest optimal) in Abwesenheit von Luftsauerstoff vermehren. Fakultativ anaerob wachsen auch viele Streptokokken, Enterokokken und Staphylokokken. Anaerobier werden wie aerobe Keime anhand ihrer Morphe und des Färbeverhaltens eingeteilt in
  • grampositive Stäbchen (z. B. Clostridium spp., Actinomyces spp., Propionibacterium spp.),
  • gramnegative Stäbchen (z. B. Bacteroides ssp., insbesondere Bacteroides fragilis-Gruppe, Fusobakterien, Porphyromonas spp., Prevotella spp.),
  • grampositive Kokken (z. B. Peptostreptococcus spp.) und
  • gramnegative Kokken (z. B. Veionella spp.).
Klinik
Anaerobe Bakterien sind insbesondere bei abszedierenden polybakteriell Infektionen des Gastrointestinal- (einschließlich Mundhöhle), Respirations- und weiblichen Genitaltraktes sowie bei Organabzessen von Leber, Lunge und Gehirn in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus stellen Bereiche mit reduzierter O2-Spannung und erniedrigtem Redoxpotenzial (z. B. nekrotisierende Malignome), schlecht perfundierte Gewebe (z. B. infolge Trauma) und chemische Nekrosen Prädilektionsstellen dar. Im Rahmen von Infektionen mit anaeroben Bakterien im Mund-Rachen-Raum (z. B. Retro- oder Peritonsillarabszesse) kann es im Rahmen des Lemierre-Syndroms (Synonym: Postangina-Sepsis) zu einer Kombination aus eitriger Thrombophlebitis der V. jugularis und Auftreten septischer Embolien kommen. In den meisten Fällen wird in der Blutkultur Fusobacterium necrophorum nachgewiesen. Gefürchtet sind perirektale Abszesse bei Kindern mit Neutropenie durch die anaeroben Darmbakterien Bacteroides fragilis oder Clostridium perfringens. Die foudroyante Ausbreitung der Infektion mit ausgedehnten Nekrosen von Weichteilgewebe ist möglich und die Letalität hoch. Infektionen mit Keimen der Bacteroides-fragilis-Gruppe oder mit Clostridien können rasch zum septischen Schock führen mit allen bekannten Komplikationen und einer hohen Letalität. Bei Anlage anaerober Blutkulturen werden je nach Studie auch bei Neu- und Frühgeborenen in bis zu 5 % der positiven Blutkulturen Anaerobier isoliert. Es handelt sich meist um Bakterien der Bacteroides-fragilis-Gruppe, Clostridien, anaerobe Kokken, Propionibakterien und andere. Manche Autoren verweisen auf ein erhöhtes Risiko für neonatale Anaerobier-Sepsis nach Amnioninfektion mit Nachweis von Gardnerella vaginalis im Abstrich der Mutter. Da der Darm des Neu- und Frühgeborenen wenige Tage nach der Geburt mit Anaerobiern besiedelt ist und neben aeroben Enterobakterien in der Bauchhöhle oft auch Anaerobier nachzuweisen sind, wird bei der Therapie der nekrotisierenden Enterokolitis (NEC) des Frühgeborenen der Einsatz eines anaerobierwirksamen Antibiotikums empfohlen. Neben der NEC gehören die Sepsis, die Omphalitis sowie der neonatale Gasbrand durch Clostridium perfringens zu typischen Anaerobier-Infektionen des Neugeborenen.
Diagnose
Die Aufmerksamkeit des Klinikers bezüglich der möglichen Beteiligung anaerober Bakterien am Infektionsgeschehen ist wesentlich für die korrekte Diagnostik und ätiologische mikrobiologische Klärung. Entscheidend für die Anzucht der Anaerobier sind der unverzügliche Transport ins Labor und/oder die Verwendung geeigneter Transportmedien. Die arbeitsaufwendige kulturelle Anzucht von Anaerobiern benötigt mindestens 48 Stunden, meist aber mehrere Tage. Während die klassische biochemische Identifikation weitere Tage in Anspruch nimmt, erlauben heute moderne Verfahren (z. B. MALDI-TOF, matrix assisted laser desorption ionization – time of flight) eine zuverlässige Identifikation innerhalb von 30 Minuten aus den bereits gewachsenen Kulturen. Die Bestimmung der antimikrobiellen Aktivität bei Anaerobiern ist schwierig bzw. langwierig. Therapieempfehlungen werden daher vornehmlich kalkuliert anhand von bekannten Resistenzmustern der Bakterienarten oder -gattungen gegeben. Bei schweren Infektionen und bei Nachweis von Anaerobiern aus sterilen Kompartimenten ist die Resistenzbestimmung obligat. Dennoch muss die Initialtherapie empirisch erfolgen.
Therapie
Da es sich bei Anaerobier-Infektionen häufig um abszedierende beziehungsweise nekrotisierende Infektionen handelt, ist ein sorgfältiges chirurgisches Débridement unabdingbar für einen Therapieerfolg. Für eine adäquate Antibiotikatherapie ist es essenziell, im gegebenen Fall eine mögliche Beteiligung anaerober Bakterien in Betracht zu ziehen. Hier kommt dem Einbezug Anaerobier-wirksamer Substanzen bereits in die initiale kalkulierte Antibiotikatherapie eine wesentliche Bedeutung zu, da Anaerobier im Labor meist erst verzögert nachweisbar sind. Da Anaerobier-Infektionen fast immer Mischinfektionen sind, sollte bei der empirischen Behandlung immer das infektionstypische Erregerspektrum von sowohl aeroben als auch anaeroben Keimen erfasst werden.
Anaerobier sind gegen Aminoglykoside, Monobactame (z. B. Aztreonam), Colistin, Cotrim, und Fluorchinolone, ausgenommen Moxifloxacin resistent. Gramnegative Anaerobier der Gattung Bacteroides und Prevotella können Betalaktamasen bilden. Im Gegensatz dazu sind grampositive Anaerobier wie Peptostreptokokken oder Clostridien gut empfindlich gegenüber Penicillinen. Für die kalkulierte antibiotische Therapie eignen sich Metronidazol (Ausnahme Propionibakterien), Carbapeneme (Imipenem-Cilastatin, Meropenem) und Aminopenicilline in Kombination mit Betalaktamase-Inhibitoren. Fusobakterien sind sehr häufig resistent gegenüber Betalaktam-Antibiotika, einschließlich Carbapenemen. Propionibacterium spp. sind zur Biofilmbildung fähig und verursachen in seltenen Fällen Liquor-Shuntinfektionen und Infektionen an Wirbelkörperimplantaten. Mehr als 85 % der Propionibacterium-Isolate sind gegen Metronidazol resistent. Bei der Behandlung der – sehr selten durch Anaerobier bedingten – Meningitis ist zu bedenken, dass Clindamycin und Erythromycin im Liquor keine therapeutisch wirksamen Konzentrationen erreichen. Hierzu sind Metronidazol, Chloramphenicol oder Meropenem notwendig. Diese Substanzen erreichen auch bei Hirnabszessen therapeutisch wirksame Konzentrationen im Hirngewebe und im Abszess.
Prophylaxe
Eine antibiotische Prophylaxe gegen Anaerobier wird nur bei Kolonoperationen durchgeführt. Patienten mit Anaerobier-Infektionen müssen nicht isoliert werden (Ausnahme symptomatische Infektion durch toxinbildende Clostridien difficile).

Tetanus

R. Elling und M. Hufnagel
Definition
Tetanus („Wundstarrkrampf“) ist eine toxinvermittelte Wundinfektion durch Clostridium tetani, die sich klinisch in schweren tonischen Spasmen der Skelettmuskulatur äußert.
Epidemiologie
Clostridium tetani kommt weltweit im Erdreich und in Tierexkrementen vor. Die Übertragung des Erregers erfolgt durch Kontamination von Wunden mit erregerhaltiger Erde oder mit Fäzes. In Deutschland wurden in den letzten 15 Jahren (2003–2017) lediglich 3 Fälle gemeldet, wobei die genaue Inzidenz auf Grund der fehlenden Meldepflicht der Erkrankung unbekannt ist. Global stellt Tetanus in Entwicklungsländern trotz großer Impferfolge in den vergangenen Jahren nach wie vor ein relevantes Gesundheitsproblem dar. Nach WHO-Schätzungen gab es 2015 immer noch 34.000 Todesfälle alleine durch neonatalen Tetanus. Das WHO-Ziel einer weltweiten Elimination des neonatalen Tetanus – definiert als eine Inzidenz <1:1000 Lebendgeburten – wurde 2017 noch von 18 Ländern verfehlt. Innerhalb Europas ist die Inzidenz in Italien am höchsten. Hier treten ca. 45 % aller europäischen Tetanus-Fälle auf (ca. 50 Fälle/Jahr).
Mikrobiologie
Clostridium tetani ist ein grampositives, obligat anaerobes Stäbchen, das in der Lage ist Sporen zu bilden. Die im Erdreich ubiquitär vorkommenden Sporen sind extrem widerstandsfähig gegen viele verschiedene Umwelteinflüsse wie Alkohol, Phenol, Formalin, extreme Temperaturen und Austrocknung. Jod, Glutaraldehyd, H2O2 und Autoklavieren (121 °C, 15 min) inaktivieren den Erreger. Neben dem Erdreich kommen die Sporen vor allem in menschlichen und tierischen Fäkalien (v. a. Pferde, Rinder) vor. Die vegetative Form des Erregers kann die beiden plasmidkodierten Exotoxine Tetanolysin und Tetanospasmin bilden, wobei letzteres das klinisch relevante Toxin darstellt. Nichttoxinbildende Stämme von Clostridium tetani sind apathogen.
Pathogenese
Voraussetzung für eine Infektion ist eine Verletzung, auch Bagatellverletzungen können eine ausreichende Eintrittspforte darstellen. Beim neonatalen Tetanus ist der typische Infektionsweg eine Verunreinigung des Nabelstumpfs durch Fäkalien oder Erde. Nach Eindringen der Erregersporen wandeln sich diese unter anaeroben Bedingungen in ihre vegetative Form um und produzieren als solche die Metalloprotease Tetanospasmin, eines der potentesten mikrobiellen Toxine überhaupt (letale Dosis im Menschen <2,5 ng/kg). Über die neuromuskuläre Endplatte dringt das Toxin in das periphere Nervensystem ein, von wo es über retrograden axonalen Transport in periphere Motoneuronen und über Transzytose zu Neuronen im Hirnstamm und Rückenmark gelangt. Hier entfaltet Tetanospasmin seine Hauptwirkung, indem es präsynaptisch die Freisetzung der inhibitorischen Neurotransmitter hemmt, welche physiologischerweise die Motoneurone des Vorderhorns inhibieren (Renshaw-Hemmung). Dadurch kommt es zu einer überschießenden Erregung und Reflexenthemmung der α-Motoneurone, was sich in den charakteristischen Spasmen der Skelettmuskulatur äußert. Da auch inhibitorische Synapsen des vegetativen Nervensystems betroffen sind, kann es zu einer Überaktivität des Sympathikus mit überschießender Katecholamin-Ausschüttung kommen.
Klinische Symptome und Verlauf
Klinisch werden die 4 Formen des generalisierten, lokalisierten, zephalen und neonatalen Tetanus unterschieden.
Generalisierter Tetanus („Wundstarrkrampf“)
Der generalisierte Tetanus beginnt nach einer Inkubationszeit von 3–21 Tagen oft mit Trismus (Spasmus der Kiefermuskulatur) und Risus sardonicus (Spasmus der Gesichtsmuskulatur). Typisch sind die von kranial absteigenden Symptome, die im weiteren Verlauf zu einem ausgeprägten Ophisthotonus führen. Auf Grund des maximalen Tonus von Agonisten und Antagonisten mit Überwiegen der Agonisten befinden sich die Arme in Beugestellung, die Beine sind überstreckt. Spasmen der Glottismuskulatur, der Interkostalmuskeln oder des Zwerchfells können zur Atemlähmung führen. Das Bewusstsein ist erhalten, die Patienten leiden unter großen Schmerzen. Fieber tritt in der Regel nicht auf. Auf Grund der Hemmung des inhibitorischen Reflexbogens können die Spasmen spontan, nach Muskelaktivität oder durch Berührung ausgelöst werden. Die Spasmen können so ausgeprägt sein, dass Frakturen auftreten, insbesondere Wirbelkörperimpressionsfrakturen.
Die schwere Funktionsstörung des autonomen Nervensystems äußert sich durch arterielle Hypertonie, Tachykardie und ausgeprägtes Schwitzen. In Industriestaaten ist die Dysfunktion autonomer Regulationen die wichtigste Todesursache beim Tetanus geworden, in Entwicklungsländern ist es bei fehlender Verfügbarkeit der künstlichen Beatmung die respiratorische Insuffizienz. Der klinische Verlauf der Erkrankung ist langwierig und dauert in der Regel 4–12 Wochen bis zur vollständigen Heilung. Im Gegensatz zur Impfung hinterlässt die Erkrankung keine schützende Immunität, Rezidive kommen vor.
Lokaler Tetanus
Der lokale Tetanus ist auf die Extremität der kontaminierten Wunde beschränkt und äußert sich klinisch in Muskelsteifigkeit und im Verlauf auch kontinuierlichen Muskelspasmen. Die Prognose dieser Erkrankungsform ist gut, allerdings kann sie in einen generalisierten Tetanus fortschreiten. Typischerweise liegt bei Patienten mit lokalem Tetanus eine Teilimmunität vor.
Zephaler Tetanus (Hirnnerven-Tetanus)
Der zephale Tetanus ist eine Sonderform des lokalen Tetanus nach Kontamination einer Wunde im Gesicht, an Kopf oder Nacken – die Inkubationszeit ist mit ca. 2 Tagen besonders kurz. Er kann klinisch als Trismus, Risus sardonicus oder ipsilaterale periphere Fazialisparese manifestieren. Gerade bei führender Fazialisparese wird die Diagnose häufig verkannt.
Neugeborenen-Tetanus
Der Neugeborenen-Tetanus entsteht durch eine Infektion des Nabelstumpfs bei Kontamination und unzureichender Immunität der Mutter und dadurch Fehlen der IgG-vermittelten Leihimmunität. Weltweit sind ca. 80 % aller Neugeborenen durch maternale Antikörper vor neonatalem Tetanus geschützt (Stand 2015). Erste Zeichen sind Trismus mit konsekutiver Trinkschwäche und generalisierter Schwäche. Im weiteren Verlauf kommt es zum Vollbild eines generalisierten Tetanus mit Opisthotonus, Ateminsuffizienz, Spasmen der Extremitätenmuskulatur und vegetativer Dysfunktion.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose Tetanus wird durch den klinischen Befund gestellt. Eine Kultivierung des Erregers aus dem Wundgebiet gelingt in der Regel nicht. Der direkte Toxinnachweis erfolgt im Tierversuch, in dem Patientenserum in Mäuse injiziert wird – die Sensitivität dieser aufwendigen Diagnostik ist aber gering. Der Nachweis von spezifischen Antikörpern (ELISA) ist nur für den Impfschutz relevant. Für die akute Infektion hat er keine Bedeutung, eine Serokonversion im Verlauf kann aber bei nicht vorbestehender Impfung die klinische Diagnose nach einigen Wochen bestätigen.
Die Differenzialdiagnose des generalisierten Tetanus beinhaltet unter anderem die bakterielle Meningitis (Meningismus, Opisthotonus), tonische Anfälle sowie dystone Reaktionen nach Neuroleptika. Die einzige Krankheit, die vom klinischen Bild her leicht mit Tetanus verwechselt werden kann, ist eine Strychninvergiftung. Diese lässt sich durch eine Untersuchung von Urin und Serum ausschließen. Differenzialdiagnostisch kommen zusätzlich noch Asphyxie, Hypoglykämie, hypokalziämische Tetanie und Krampfanfälle in Betracht.
Therapie
Die wesentlichen Therapieelemente beinhalten (1) die Identifikation der Eintrittspforte mit Durchführung eines Wunddebridements, (2) die Toxin-Neutralisierung, Immunisierung und antibiotische Therapie sowie (3) die supportive symptomatische Therapie der Komplikationen. Nach Diagnosesicherung eines generalisierten Tetanus steht die Aufrechterhaltung der Atmung im Vordergrund. Da bereits die erste Episode einer Atemwegsobstruktion letal sein kann, sollte der Patient frühzeitig nach Gabe eines Benzodiazepins und Muskelrelaxation intubiert werden. Zur weiteren Sedierung werden in erster Linie ebenfalls Benzodiazepine in z. T. hohen Dosierungen verwendet, weil sie GABA-Agonisten sind und als solche indirekt Tetanospasmin antagonisieren. Aufgrund der Thoraxrigidität ist häufig eine Dauerrelaxierung beatmeter Patienten sinnvoll, um hohe Beatmungsdrücke zu umgehen. Alternative Präparate zur Behandlung der Spasmen, die in Einzelfällen oder in kleinen Fallserien (teilweise nur bei Erwachsenen) eingesetzt wurden, sind intrathekales Baclofen, lokal injiziertes Botulinumtoxin oder Dantrolen. Für intravenöses Magnesium konnte in einer randomisierten kontrollierten Studie an Erwachsenen gezeigt werden, dass hierdurch zwar nicht die Notwendigkeit der mechanischen Beatmung beeinflusst werden konnte, es aber zu einem deutlich geringeren Bedarf an Sedativa kam. Zudem konnte die Häufigkeit von Tachykardien reduziert werden.
Nach Sicherstellung der Atmung und Kontrolle der Muskelspasmen sollte die Wunde evaluiert und gegebenenfalls chirurgisch saniert werden, insbesondere muss avitales Gewebe rasch und vollständig reseziert werden. Die passive Immunisierung mit humanem Tetanus-Immunglobulin (hTIG) verkürzt möglicherweise Krankheitsverlauf und -schwere (500–3000 IE i.m.), kann aber bereits neuronal gebundenes Toxin nicht antagonisieren. Der Stellenwert einer zusätzlichen intrathekalen Applikation von hTIG (250–1000 IE) ist nicht abschließend geklärt.
Da die Infektion keine protektive Immunität induziert, sollte in der Postakutphase mit einer aktiven Immunisierung begonnen werden (kontralateral zur passiven Immunisierung). Eine frühzeitige antibiotische Therapie kann eine weitere Toxinbildung verhindern und sollte primär mit Metronidazol (30 mg/kg KG/Tag in 4 ED, max. 4 g) über 10–14 Tage durchgeführt werden. Auch parenterales Penicillin ist wirksam, aufgrund seiner zentralen GABA-antagonistischen Wirkung gibt es aber theoretische Überlegungen eines synergistischen Effekts zur Wirkung des Tetanustoxins. Weitere Alternativen sind Tetrazykline, Makrolide, Clindamycin, Cephalosporine und Chloramphenicol. Kontrollierte Studien, die einen positiven Effekt der antibiotischen Therapie belegen, existieren allerdings nicht. Eine autonome Dysregulation kann neben der notwendigen tiefen Analgosedierung mit einer kombinierten α- und β-adrenergen Blockade unterbunden werden. Hypertension, (seltener) Hypotension und myokardiale Depression werden ebenfalls symptomatisch behandelt. Eine Dauerinfusion mit Dexmedetomidin zeigte bei Erwachsenen neben dem sedierenden Effekt in mehreren Fallserien eine positive Wirkung auf die Dysautonomie der Erkrankung.
Prophylaxe
Alle Formen des Tetanus lassen sich durch aktive und passive Immunisierung vermeiden (Kap. „Impfungen“). Ist eine dreimalige Grundimmunisierung und dreimalige Booster-Impfung erfolgt, kann nach WHO-Angaben von einer lebenslangen protektiven Immunität ausgegangen werden. Das Schema der postexpositionellen Tetanus-Prophylaxe im Verletzungsfall ist abhängig von der bestehenden Grundimmunisierung und der Art der Verletzung (Tab. 1, für die jährlichen Aktualisierungen wird auf die STIKO-Webseite verwiesen www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/Impfempfehlungen_node.html). In Deutschland besteht keine krankheits- oder erregerspezifische Meldepflicht gemäß IfSG.
Tab. 1
Tetanus-Impfprophylaxe im Verletzungsfall. (Nach Empfehlungen der STIKO, Robert-Koch-Institut 2018)
 
Tetanus-Impfstatus
Zeit seit letzter Impfung
TDaP/Tdap2
Tetanusimmunglobulin (TIG)3
Sauberer geringfügige Wunden
Ungeimpft oder unbekannt
 
Ja
Ja
1 oder 2 Impfstoffdosen
 
Ja4
Nein
≥3 Impfstoffdosen
≥10 Jahre
Ja
Nein
<10 Jahre
Nein
Nein
Alle anderen Wunden1
<3 Impfstoffdosen oder unbekannt
 
Ja4
Ja
≥3 Impfstoffdosen
 
Ja
Nein
 
Nein
Nein
1Tiefe und/oder verschmutzte (Staub, Erde, Speichel, Stuhl) Wunden, Verletzungen mit Gewebszertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung oder Eindringen von Fremdkörpern (Quetsch-, Riss-, Biss-, Stich-, Schusswunden), schwere Verbrennungen und Erfrierungen, Gewebsnekrosen, septische Aborte
2Kinder unter 6 Jahren erhalten einen Kombinationsimpfstoff mit TDaP, ältere Kinder und Jugendliche Tdap. Erwachsene erhalten ebenfalls Tdap, wenn sie noch keine Pertussis-Impfung im Erwachsenenalter erhalten haben oder sofern eine aktuelle Indikation für eine Pertussis-Impfung besteht
3Im Allgemeinen werden 250 IE TIG verabreicht. TIG wird simultan mit dem TDaP- bzw. Tdap-Impfstoff kontralateral appliziert. Die TIG-Dosis kann auf 500 IE erhöht werden bei (a) infizierten Wunden, bei denen eine angemessene chirurgische Behandlung nicht innerhalb von 24 Stunden gewährleistet ist, (b) tiefen oder kontaminierten Wunden mit Gewebezertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung, (c) Eindringen von Fremdkörpern, z. B. Biss-, Stich- oder Schusswunden, (d) schweren Verbrennungen und Erfrierungen, Gewebsnekrosen und septischen Aborten
4Im Falle von Patienten, bei denen die Grundimmunisierung begonnen, aber noch nicht abgeschlossen ist (z. B. Säuglinge), muss der Abstand zur letzten Dosis berücksichtigt werden. Eine postexpositionelle Impfung am Tag der Wundversorgung ist nur sinnvoll, wenn der Abstand zu der vorhergehenden Impfstoffdosis mindestens 28 Tage beträgt. Bezüglich des Abschlusses einer Grundimmunisierung gelten im Übrigen die Nachholempfehlungen der STIKO
Prognose
Die Prognose wird durch den initialen Schweregrad der Erkrankung auf der einen Seite sowie die Verfügbarkeit intensivmedizinischer Maßnahmen auf der anderen Seite kontrolliert. Der lokale Tetanus hat eine sehr gute Prognose, während die schwere generalisierte Form auf Grund der Dysautonomie immer noch eine Letalität von 20–40 % aufweist. Für den neonatalen Tetanus sind abhängig von den medizinischen Versorgungsmöglichkeiten sehr heterogene Letalitätsraten publiziert (3–88 %).

Botulismus

K.-M. Keller
Definition
Der Botulismus ist eine zwar seltene, aber schwere, lebensbedrohliche Krankheit infolge von Intoxikation mit dem stärksten derzeit bekannten biologischen Gift, dem Exotoxin von Clostridium botulinum (BoNT). Es sind 8 immunologisch verschiedene hitzelabile Serotypen A–H bekannt. Clostridium botulinum ist ein grampositiver, Sporen bildender, obligater Anaerobier. Man unterscheidet den klassischen Nahrungsmittelbotulismus nach Ingestion von in Nahrungsmitteln präformiertem Botulinustoxin (lat. „botulus“, Wurst) vom seltenen Säuglings- und Wundbotulismus (erdverschmutzte Wunden, i.v.-Drogenmissbrauch). Bei Letzterem werden die Toxine in vivo gebildet.
Epidemiologie
Der Botulismus kann überall und in jeder Altersgruppe auftreten, da die hitzeresistenten Sporen ubiquitär im Erdboden und in Gewässern vorkommen. Kontaminierte und ungenügend erhitzte Konserven (meist hausgemacht) und Geräuchertes sind die typischen Intoxikationsquellen. Die meisten Fälle von Säuglingsbotulismus nach Ingestion von Sporen aus kontaminierter Erde, Staub oder Honig werden aus den südlichen USA berichtet, vereinzelt kommen sie auch bei uns vor. Dennoch ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Wahrscheinlich sind auch einige Fälle von plötzlichem Kindstod auf Säuglingsbotulismus zurückzuführen. Der Altersgipfel beider Erkrankungen fällt mit 2–4 Monaten genau zusammen. Eine direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch erfolgt nicht.
Ätiopathogenese
Die Botulinustoxine A, B und E – sehr selten auch F und G – blockieren nach enteraler oder parenteraler Aufnahme und hämatogenem/lymphogenem Transport die Freisetzung von Acetylcholin aus den cholinergen Synapsen. Daraus resultiert ein genereller Acetylcholinmangel. Verdauungsenzyme wie Trypsin verstärken die Toxizität zusätzlich.
Klinische Symptome und Verlauf
Nach einer Latenz von 12–36 Stunden (selten Tage) nach Ingestion entstehen Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Obstipation, paralytischer Ileus ohne Fieber und charakteristische neurologische Symptome bei intaktem Sensorium: Mydriasis, Seh- und Sprachstörungen, Hirnnervenlähmungen, Muskelschwäche, absteigende schlaffe Paralyse und zunehmende Atemlähmung. Primär charakteristisch ist der 4D-Symptomenkomplex: Diplopie, Dysphagie, Dysphorie und Dysarthrie.
Diagnose
Die Diagnose erfolgt klinisch. Das Toxin kann in Nahrungsresten, Erbrochenem, Magensaft, Stuhl und Serum nachgewiesen werden. Dazu ist ein Tierversuch erforderlich (Dauer 4 Tage!). Negative Befunde schließen Botulismus nicht aus.
Therapie
Erforderlich sind intensivmedizinische Maßnahmen, unter Umständen inkl. Intubation und Beatmung, Detoxikation (Prokinetika, Cholinergika) und Antitoxininfusion (trivalentes Antitoxin gegen Typ A, B und E; evtl. monovalentes Antitoxin nach Typbestimmung) nach intrakutaner Vortestung. Antibiotika sind kontraindiziert. Der Säuglingsbotulismus wird ausschließlich symptomatisch behandelt.
Prophylaxe
Vorbeugende Maßnahmen sind: striktes Einhalten der vorgeschriebenen Temperaturen und Einwirkungszeiten in Industrie und Haushalt, Verwerfen verdächtiger Nahrungsmittel (ausgebeulte, „bombierte“ Konserven) – ohne Verköstigung! – oder Erhitzung auf 100 °C für 10 min, kein Bienenhonig in der Säuglingsernährung, auch nicht zum Nachsüßen von Tees; bei Trinkschwierigkeiten kein Bestreichen von Brustwarzen oder Schnullern mit Honig. Hände-/Stuhldesinfektion sowie adäquate chirurgische Wundversorgung sind wichtig.
Es besteht Meldepflicht bei Verdacht, Erkrankung und Tod (§ 6 Abs. 1 Nr. 1a, IfSG) sowie bei Erreger- und Toxinnachweis (§ 7 Abs. 1 Nr. 7, IfSG).
Prognose
Die Mortalität beträgt bis zu 25 % (Toxin A). Bei rechtzeitiger Einleitung der Intensivtherapie ist die Prognose gut, unter Umständen ist aber eine monatelange Rehabilitation erforderlich.

Gasbrand

R. Berner
Definition
Der Gasbrand ist eine lebensbedrohliche anaerobe Wundinfektion verursacht durch Clostridium perfringens, ein grampositives anaerobes Sporen bildendes Stäbchenbakterium, das im Erdreich vorkommt, aber auch physiologisch zur Darmflora gehört.
Epidemiologie
Das Krankheitsbild Gasbrand wird heutzutage primär nach Trauma, chirurgischen Eingriffen, malignen Prozessen, schweren Hautinfektionen oder Verbrennungen sowie nach septisch durchgeführten Abtreibungen beobachtet. Beim spontanen Gasbrand handelt es sich um eine in der Regel bei hochgradig immunsupprimierten Patienten auftretende Infektion mit endogenem Infektionsherd (meist Darmnekrose). Bei Früh- und Neugeborenen kann es ausgehend vom Darm zum neonatalen Gasbrand kommen. Der durch Clostridium septicum ausgelöste, systemische Gasbrand ist eine sehr seltene, fast immer letale Krankheit bei Kindern mit Granulozytopenie und neutropenischer Enterokolitis, aber auch nach vorausgegangenen Traumen.
Ätiopathogenese
Eine Kontamination traumatischer oder iatrogener tiefer Wunden, in denen sich unter anaeroben Stoffwechselbedingungen Clostridium perfringens Typ A (80–90 %) vermehren kann, führt zu einer lokal invasiven und systemisch toxischen Infektion. Auch C. novyi, C. septicum, C. histolyticum, C. bifermentans, C. tertium und C. fallax können Gasbrandinfektionen verursachen (10–20 %). Die Clostridien der Gasbrandgruppe erzeugen verschiedene Exotoxine (Alpha- und Thetatoxine), die hämolysierend, nekrotisierend und zytotoxisch wirken.
Klinische Symptome und Verlauf
Nach Inokulation kommt es entweder zur abszedierenden lokalen Weichteilinfektion ohne Erregerinvasion und ohne Toxinämie oder zur Myonekrose mit plötzlich einsetzendem massiven Wundschmerz und deutlich reduziertem Allgemeinzustand. Hinzu kommt eine knisternde Schwellung und livide Verfärbung des initial nicht geröteten und nicht überwärmten Wundgebiets, die innerhalb von Stunden zum nekrotischen Zerfall der betroffenen Muskellogen und der angrenzenden vitalen Weichteile fortschreitet. Zu den systemischen Komplikationen gehören ein septisches Multiorganversagen und eine massive Hämolyse mit bedrohlicher Hyperkaliämie. Das Bewusstsein der Patienten wird durch die Toxinämie nicht beeinflusst.
Diagnose
Die Diagnose ist in erster Linie klinisch zu stellen. Jede weiterführende Diagnostik darf bei begründetem klinischem Verdacht eine frühzeitige Intervention nicht verzögern. Der sonografische Nachweis von Gas in den Faszienlogen oder im Röntgen (charakteristische Fiederung der befallenen Muskulatur als Spätzeichen) kann wegweisend sein. Bei intestinalem Fokus kann gelegentlich eine Pneumatosis der Darmwand in der Röntgenübersicht des Abdomens oder Luft in der Pfortader nachgewiesen werden. Der Nachweis des Erregers aus dem Wundgebiet erfolgt mikroskopisch durch die Gramfärbung und die anschließende mikrobiologische Anzucht unter anaeroben Bedingungen. Im Serum finden sich als Ausdruck der Rhabdomyolyse eine deutlich erhöhte Kreatinkinase (CK) und LDH sowie ein erhöhtes Laktat (auch im Liquor deutlich erhöht bei anaeroben ZNS-Infektionen), im Urin kann Myoglobin nachgewiesen werden. Auf die Hämolyse weisen frühzeitig ein niedriger bzw. fallender Hämatokrit, eine stark erhöhte LDH, eine Hyperkaliämie, ein erhöhtes Bilirubin und ein nicht messbares Haptoglobin hin.
Therapie
Patienten mit Gasbrand können nur durch eine frühzeitige Kombination von chirurgischer Intervention mit Wunddébridement und Resektion der befallenen Gewebeanteile in Kombination mit hochdosierter Antibiotikatherapie (Penicillin G als 1. Wahl; Alternativen: Clindamycin, Meropenem) und intensivmedizinischer Therapie gerettet werden. Bei spontanem Gasbrand ist eine Resektion der meist ileozökal gelegenen Eintrittspforte (ulzerierter, nekrotischer oder perforierter Darmabschnitt) obligat. Patienten mit Neutropenie sollen supportiv mit G-CSF behandelt werden.
Prophylaxe
Patienten mit Gasbrand sollten bis zum Ansprechen der antibiotischen Therapie (in der Regel 48 Stunden) in Kontaktisolierung betreut werden. In Deutschland ist die Erkrankung nach IfSG nicht meldepflichtig
Prognose
Die Letalität liegt bei bis zu 70 %.
Weiterführende Literatur
AWMF S1-Leitlinie Tetanus 2017, Deutsche Gesellschaft für Neurologie
Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (2018) Handbuch Infektionen bei Kindern und Jugendlichen, 7. Aufl. Georg Thieme Verlag, Stuttgart
Koepke R, Sobel J, Arnon SS (2008) Global occurrence of infant botulism, 1976–2006. Pediatrics 122:e73–e82CrossRef
RKI-Ratgeber Botulismus (Mai 2018)
RKI-Ratgeber Tetanus (Januar 2017)
Schreiner MS, Field E, Ruddy R (1991) Infant botulism: a review of 12 years’ experience at the Children’s Hospital of Philadelphia. Pediatrics 87:159–165PubMed
STIKO des Robert-Koch-Instituts (2018) Epidemiologisches Bulletin Nr. 34, S 362. www.​rki.​de/​DE/​Content/​Kommissionen/​STIKO/​Empfehlungen/​Impfempfehlungen​_​node.​html
Thwaites CL, Beeching NJ, Newton CR (2015) Maternal and neonatal tetanus. Lancet 385:362–370CrossRef