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Erschienen in: Psychotherapeut 1/2020

Open Access 16.01.2020 | Psychotherapie | Schwerpunkt: Klimawandel und Psychotherapie – Psychotherapie und Gesellschaft

Klima, Psyche und Psychotherapie

Kognitionspsychologische, psychodynamische und psychotraumatologische Betrachtung einer globalen Krise

verfasst von: Prof. (apl.) Dr. med. Christoph Nikendei, MME

Erschienen in: Die Psychotherapie | Ausgabe 1/2020

Zusammenfassung

Hintergrund

Trotz der erdrückenden Evidenz für den anthropogenen Klimawandel und die Gefährdung der menschlichen Zivilisation durch den kontinuierlich zunehmenden CO2-Ausstoß und der damit zusammenhängenden globalen Erwärmung existiert eine bedrohliche Kluft zwischen unserem Wissen und hieraus resultierendem Handeln.

Methode

Basierend auf einer selektiven Literaturübersicht mit dem Fokus auf die Arbeiten von Clayton et al. (2015), Marshall (2015), Orange (2017), Hoggett (2019) sowie konflikt- und (gesellschafts‑)strukturelle Überlegungen in Anlehnung an die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) wurden mehrere Säulen eines integrativ wirksam werdenden Modells zum „value-action gap“ – der Diskrepanz aus Wissen und Handeln – entwickelt.

Ergebnisse

In einem narrativen Review werden Überlegungen aus kognitionspsychologischer, psychodynamischer und psychotraumatologischer Sicht zum Umgang mit der globalen Erwärmung vorgestellt. Im Mittelpunkt stehen Konzepte der „kognitiven Verzerrung“, der „Verleugnung“ und „Omnipotenz“, des individuellen und gesellschaftlichen „Strukturmangels“ sowie der „Traumatisierung von Opfern und Tätern“.

Zusammenfassung

Kognitionspsychologische, psychodynamische und psychotraumatologische Konzepte können ein tiefgreifenderes Verständnis für unsere offensichtliche Handlungsunfähigkeit in Bezug auf die globale Erwärmung ermöglichen und im besten Fall helfen, diese zu überwinden. Potenzielle Implikationen für Psychotherapeuten und die Psychotherapie werden beleuchtet.
Hinweise
Der Autor stellt auf Anfrage gern alle nichtzitierten Quellen in Form eines erweiterten Literaturverzeichnisses zur Verfügung.
… Hörten es und häuften noch mehr Informationen auf. Als brauchten wir zum Handeln einen neuen Klimabericht, einen neuen Schadensbericht über die Weltmeere, den Regenwald, die grassierende Armut. Aber aus all den Fakten ist keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe der drohenden Zukunft wäre … (Willemsen, 2016, Wer wir waren, S. 26, Frankfurt am Main, Fischer)
Der vorliegende Beitrag skizziert die Folgen des CO2-Eintrags in unsere Atmosphäre unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Darüber hinaus werden empirische Befunde der kognitionspsychologischen Forschung sowie Erklärungsansätze aus psychodynamischer und psychotraumatologischer Perspektive unter Einbezug gesellschafts- und wirtschaftsdynamischer Aspekte vorgestellt, die darlegen, warum der Schritt vom Wissen zum Handeln in Bezug auf die Begrenzung der globalen Erwärmung von uns Menschen im Wesentlichen unterlaufen wird.

Zahlen und Fakten

Die wissenschaftliche Evidenz für einen anthropogenen Klimawandel ist erdrückend. Diese Erkenntnis unterstützen 97 % der wissenschaftlichen, Peer-gereviewten Veröffentlichungen, die zwischen 1991 und 2011 publiziert wurden (Cook et al. 2013; Powell 2011). Doch obwohl ein „Rekordsommer“ mit neuen Maximaltemperaturen auf der Erdfieberkurve dem anderen folgt, wir Menschen immer besser über unser „planetares Hitzeleiden“ informiert sind und uns der Kräfteschwund in Form des „earth overshoot day“ jedes Jahr früher „zu Leibe rückt“, scheinen wir Erdbewohner unfähig zu sein, uns auf einen Therapieversuch im Sinne der konsequenten Reduktion des CO2-Ausstoßes einzulassen. Ganz so, als ob wir erst einmal ungläubig wissen wollten, an welcher Zahl von erkrankten Erden die getroffene prognostische Einschätzung empirisch validiert wurde.
Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre erreichte bereits 2015 – also im Jahr des Pariser Klimaabkommens – erstmals die symbolische Marke von 400 „parts per million“ (ppm). Mitte des 18. Jh. – also zu Beginn der industriellen Revolution – bewegte sich dieselbe noch in einem Bereich zwischen 275 und 285ppm. Trotz der unternommenen Regulierungsversuche hat sich die weltweite Emission von CO2, das neben Vertretern wie Methan (CH4), Distickstoffmonoxid (N2O) und gasförmigen Fluorkohlenwasserstoffen (FKW) mit 75 % den Löwenanteil an relevanten Klimagasen ausmacht, zwischen 1970 und 2000 jährlich um jeweils 0,4 Gigatonnen (Gt) sowie zwischen 2000 und 2010 jährlich um jeweils 1Gt erhöht. Maßgeblich der Verbrennung fossiler Energieträger und industrieller Prozesse geschuldet, erreichte der CO2-Eintrag in unsere Atmosphäre 2017 zuletzt einen Wert von insgesamt 42,0Gt. Es ist davon auszugehen, dass die CO2-Konzentration hiermit die 450-ppm-Marke um das Jahr 2035 und die 500-ppm-Marke um das Jahr 2065 erreichen wird (Keeling 2016).

Resultierende Konsequenzen des CO2-Anstiegs – eine wissenschaftliche Perspektive

Mit Fortschreiten der eingangs geschilderten Entwicklung der atmosphärischen CO2-Konzentration wären die Ziele des Pariser Klimaabkommens zum Scheitern verurteilt. Die dortige Maßgabe war, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter die von vielen Wissenschaftlern bereits als bedrohlich angesehenen 2°C zu begrenzen und Anstrengungen zur Limitierung auf 1,5°C zu unternehmen. Während jedoch die mittlere Erdtemperatur 2015 im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um etwa 1°C erhöht war, führt die weiterhin beschleunigte Freisetzung von CO2 aller Voraussicht nach zu einem Temperaturanstieg von 1,5°C bis zum Jahr 2030 und von 2°C bis zum Jahr 2045 (Keeling 2016). Selbst bei der Einhaltung der im Pariser Klimaabkommen von 195 Nationen ratifizierten Selbstverpflichtungen ist davon auszugehen, dass bestenfalls mit einer Begrenzung der Erderwärmung auf 3,0°C bis zum Ende des Jahrhunderts zu rechnen ist. Kritischere Analysen gehen von einer erreichten Temperaturdifferenz von 5,2°C im Jahr 2100 aus. Bei einer weiteren unkontrollierten CO2-Emission muss bereits 2030 eine „als katastrophal einzuschätzende“ Erderwärmung um 3,0°C in Betracht gezogen werden (Xu und Ramanathan 2017).
Was bedeutet dies? Bereits innerhalb der im Pariser Klimaabkommen angestrebten 2-°C-Grenze werden die unterschiedlichen Bestandteile des Klimasystems empfindlich gestört. Dies betrifft qualitative Veränderungen des „Eissystems“ (z. B. durch Schmelzen des arktischen Sommermeereises, Verlust des Grönland-Eispanzers, Kollaps des westantarktischen Eisschilds, Verschwinden der alpinen Gletscher), des „Strömungssystems“ (z. B. durch Verlangsamung oder „Einrasten“ des planetarischen Jetstream) und des „Ökosystems“ (z. B. durch Verschwinden der tropischen Korallenriffe). Die Zustandsänderungen dieser „Kippelemente“ (Lenton et al. 2008) sind zum einen irreversibel, zum anderen setzen sie schwer einschätzbare weitere Selbstverstärkungsprozesse in Gang. Die Erhöhung der mittleren globalen Erdtemperatur um ca. 4 °C wird
  • zu Temperaturanstiegen führen, die weite Teile des nördlichen Indiens, des nördlichen Südamerikas, Mittelamerikas sowie der südlichen Sahararegion unbewohnbar werden lassen,
  •  das Aussterben von 40 % der Tier- und Pflanzenarten sowie die Vernichtung des Amazonasregenwalds durch unbeherrschbare Brände zur Konsequenz haben werden,
  • bis Ende des Jahrhunderts dürrebedingten Ernteeinbußen von bis zu 12 % für Weizen, 6 % für Mais, 19 % für Reis und bis zu 16 % für Sojabohnen mit sich bringen,
  • bei einem 5‑°C-Szenario einen Anstieg des Meeresspiegels von 7,5 m bis 2200 nach sich ziehen, dem über 50 % der weltweiten Metropolen zum Opfer fallen würden (Marshall 2015).
Die genannten Veränderungen werden zur Folge haben, dass bis 2050 rund 140 Mio. Menschen als Klimaflüchtlinge ihre Heimat verlassen haben werden. Aufgrund der Flüchtlingsströme, der Dürre, des Mangels an Nahrungsmitteln, der Destabilisierung von Wirtschaftsräumen und der wärmebedingten Zunahme kriminellen Verhaltens ist in der Konsequenz nicht davon auszugehen, dass bei einer Temperaturerhörung von 4 °C eine funktionierende Gesellschaftsordnung aufrechterhalten werden kann (Spratt und Dunlop 2019).

Spezifische Charakteristika des Klimawandels – eine kognitionspsychologische Perspektive

Menschen reagieren auf Bedrohungen, die ihre eigene physische Integrität, die der eigenen Familie oder die des „eigenen Stamms“ gefährden, entweder mit Kampf („fight“), mit Flucht („flight“) oder Erstarren („freeze“). Um diese Handlungsmuster auszulösen, müssen die Bedrohungssituationen von uns Menschen jedoch als solche wahrgenommen werden (können). Dazu müssen sie distinkte Merkmale aufweisen: Sie müssen unmittelbar, konkret und unstrittig sein. So bedrohlich der Klimawandel für uns und unsere Zivilisation sein mag, es könnte kaum eine ungünstigere Passung zwischen der Ernsthaftigkeit der Gefährdung einerseits und unserem Sensorium, auf diese vorhandene Gefährdung adäquat mit einer Alarmreaktion antworten zu können andererseits, existieren, denn:
  • der Klimawandel ist eine elementare, aber schleichende Bedrohung mit fehlender Unmittelbarkeit,
  • der Klimawandel ist zumeist abstrakt, sehr komplex und aufgrund unzureichender Konkretheit kaum fass- und greifbar,
  • die Auswirkungen des Klimawandels bleiben vage und sind (oft noch) nicht direkt spürbar.
Diese spezifischen Charakteristika des Klimawandels verleiten uns dazu, dass wir Menschen einer Reihe von Trugschlüssen und (kognitiven) Verzerrungen unterliegen. Wir fokussieren uns auf die unbekannten Unbekannten („unknown unknowns“) statt auf die bekannten Bekannten („known knows“) und verschieben in der Anmutung, dass der Klimawandel eher ein Phänomen der Zukunft ist, auch unsere Gegenmaßnahmen auf zukünftige Zeiten. Dabei ist der Klimawandel eine prozesshafte Realität der Vergangenheit, des Heute, Hier-und-Jetzt und auch der Zukunft.
Der Klimawandel wird von uns Menschen jedoch nicht nur durch die evidente Faktenlage, sondern ganz entscheidend sowohl durch längerfristig erworbene biografisch-lebensgeschichtliche Erfahrungen (z. B. die familiäre und schulische Sozialisation) als auch durch situativ vorherrschende Umgebungsbedingungen (z. B. das Erleben extremer Wetterphänomene; Clayton et al. 2015) beurteilt. Die resultierenden Bewertungsmuster werden als „Bias“ bezeichnet. Beim interpretativen Bias („interpretative bias“) werden vorhandene Informationen entsprechend der persönlichen Grundhaltung interpretiert, während bei einem konfirmatorischen Bias („confirmation bias“) nur diejenigen Informationen überhaupt zur Kenntnis genommen werden, die die eigene Sichtweise und das eigene Narrativ bestärken. Diese kognitiven Verzerrungen können z. B. eine Rolle dabei spielen, dass zwar 90 % der Bevölkerung in Nordamerika, Europa und Japan die Existenz des Klimawandels anerkennen, jedoch nur ein kleiner Bevölkerungsanteil von der vorwiegend menschlichen Genese und der akut drängenden Gefahr überzeugt ist. Entgegen der intuitiv plausiblen Vermutung, dass zumindest Menschen mit Kindern den Klimawandel sehr ernst nehmen würden, zeigt sich tatsächlich, dass diese signifikant häufiger die Existenz des Klimawandels verleugnen. Dies wird als Optimismus-Bias („optimism bias“) bezeichnet, dessen Ursache vermutlich in dem Wunsch begründet ist, die eigenen Kinder als nichtgefährdet zu wissen.
Die kognitiven Verzerrungen deuten darauf hin, dass informations- und kognitionsbasierte Zugänge zum Thema Klimawandel nur eine begrenzte Reichweite besitzen. Dass spezifische Aspekte des Klimawandels und dessen Auswirkungen in ganz unterschiedlicher Weise von Menschen wahrgenommen, verarbeitet und eingebettet werden, liegt also einerseits im individuellen und soziokulturellen Erfahrungshintergrund des Einzelnen sowie in der multivalenten Komplexität der einzelnen Teilaspekte der Klimaproblematik begründet. Zusätzlich führt das der Thematik innewohnende Phänomen des „vertrackten Problems“ („wicked problem“; Rittel und Webber 1973) dazu, dass wir Menschen auf die offensichtliche Bedrohung in keiner Weise adäquat reagieren. Der Aspekt der Multivalenz soll exemplarisch in Tab. 1 am Thema der „Flugzeugmobilität“ verdeutlicht werden. Die dort präsentierten unterschiedlichen Facetten der „Flugzeugmobilität“, deren Vielschichtigkeit und Ambiguität, implizieren wiederum unterschiedliche oder sich möglicherweise (z. T.) widersprechende Lösungsansätze zur Eindämmung ihrer Klimaschädlichkeit. Der Umstand, dass konkrete Lösungsansätze schwierig auszumachen sind oder lediglich Teillösungen eines Problems darstellen, aus deren Umsetzungs- und Lösungsversuchen neue Problematiken resultieren und dieselben deshalb nur bedingt auf breiter Ebene konsensfähig sind, konstituiert ein solches „vertracktes Problem“.
Tab. 1
Multivalenz anhand des Beispiels des inländischen Flugverkehrs
Haltung eher pro Inlandsflüge
Haltung eher kontra Inlandsflüge
I Bewertung und Gewichtung von Menge und Art der emittierten CO2-Äquivalente
Von 163 Mio. t an CO2-Äquivalent Treibhausgasemissionen, die durch den Verkehr verursacht werden, gehen lediglich 2 Mio. t auf den Inlandsflugverkehr
Ein Inlandsflug von München nach Berlin beansprucht bereits ein Zehntel des Prokopfjahresbudgets an CO2-Äquivalenten
Nur 3 % der Inlandsflüge beziehen sich auf „Ultrakurzdistanzen“ (<400 km; z. B. von Stuttgart nach Frankfurt a. M.), insgesamt ca. 500.000 Passagiere/Jahr
Eine besonders hohe Klimaschädlichkeit wird den direkt in die Atmosphäre verbrachten Kondensstreifen zugeschrieben
II Bedeutung und Einordnung der Menge an Fluggästen
Ein Drittel der Passagiere nutzt den Inlandsflug als Zubringer für einen Interkontinentalflug
Die Inanspruchnahme der Flugmobilität wird ausschließlich von einer „kleinen Elite“ exorbitant in Anspruch genommen, die damit nur fraglich Verantwortung für ihre Emissionen übernimmt
III Wirtschaftliche Aspekte
Das Klimaschutzinteresse „kollidiert“ mit Belangen von Unternehmen und Beschäftigten, wobei die positiven Klimaeffekte die negativen wirtschaftlichen Effekte nicht aufwiegen
Der Flugverkehr ist in Deutschland stark subventioniert und nützt damit einem kleinen Zirkel von viel fliegenden „ökonomischen, politischen und kulturellen Eliten“
Wenn keine inländischen Zubringerflüge in Anspruch genommen werden, verschieben sich Buchungen zu ausländischen Fluggesellschaften mit Umsteigeflughäfen im Ausland – so wird lediglich die Emissionsbilanz für Deutschland geschönt, und Arbeitsplätze gehen verloren
Ticketpreise von Billiganbietern decken mit den Flugtickets für Inlandflüge nicht einmal die für den Flug entstehenden Kosten
IV Status- und Weiterentwicklungsaspekte in den verschiedenen Verkehrssektoren
Der Umstieg vom Autoindividualverkehr auf die Bahn birgt ein höheres Einsparpotenzial an Treibhausgasemission als der Verzicht auf Kurzstreckenflüge
Auch der Inlandsflugverkehr muss drastisch reduziert werden, wenn die bundesdeutschen Klimaziele („near-zero emission“) bis 2050 erreicht werden sollen
Die Deutsche Bahn hat zu wenig Fahrgastkapazitäten, um alle Fluggäste kompensatorisch aufzunehmen
Der jährliche Effizienzgewinn an CO2-Äquivalent von ca. 1 % kompensiert den Zuwachs an Steigerung des Fluggastaufkommens von ca. 7 % nicht
Es muss mehr in die sinnvolle Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel und deren Infrastruktur investiert werden
Alle Mobilitätssektoren müssen eine Reduktion im Emissionsaufkommen erwirken, sollen die Klimaschutzziele erreicht werden
Themenfelder (I–IV) mit zugeordneten potenziellen Pro- und Kontraaspekten; Zahl der Passagiere auf Inlandsflügen Januar–Juni 2019: 11,6 Mio.
Doch nicht nur die Wahrnehmung und Bewertung des Klimawandels unterliegen kognitiven Verzerrungen, sondern auch die Handlungsmotivation und -bereitschaft werden durch kognitions- und motivationspsychologische Aspekte beeinflusst. Zum Beispiel engagieren sich Menschen bei Energiesparmaßnahmen umso mehr, je deutlicher sie sich selbsttranszendenten Werten verschrieben haben, sich selbst als umweltbewusst einschätzen, sich der Konsequenzen ihres Energiekonsums bewusst sind und sich moralisch zu einem sorgsamen Umgang verpflichtet fühlen und von ihrem Umfeld dabei unterstützt erleben (Clayton et al. 2015). Intrinsische Faktoren wie Werteorientierung, die Möglichkeit, Identität und Status Ausdruck zu verleihen, oder die Symbolik einer Handlung scheinen dabei einen weitaus größeren Einfluss zu haben als extrinsische (z. B. finanzielle) Anreize (Clayton et al. 2015).
Hinzu kommt das Phänomen, dass bereits bestehende soziale Ungleichheiten oder begrenztere Chancen auf eine positive Veränderung der persönlichen Situation eher hingenommen werden, während Betroffene bei vorgesehenen Einschränkungen oder einem noch hinzunehmenden Verzicht besonders sensibel auf Aspekte der subjektiv erlebten Fairness und Gerechtigkeit reagieren (Clayton et al. 2015). Einschränkungen und Verzicht werden bei der Bewältigung der sich klar abzeichnenden Klimakrise eine Rolle spielen müssen (Paech 2018).

Klimawandel – eine konfliktdynamische Perspektive

Die Klimapsychologie beschäftigt sich mit Gefühlen, Abwehrmechanismen, kulturellen Annahmen, Dilemmata und Ressourcen in Bezug auf Klimaveränderungen (Hoggett 2019). Eine der zentralen Fragen ist, wie es uns möglich ist, die eingangs geschilderten Fakten vor uns selbst so zu behandeln, als ob diese nicht existent wären, während wir uns zeitgleich jedoch vollkommen bewusst sind, dass sie gänzlich zutreffend sind. Die Psychodynamik kann hierzu ein tiefgehenderes Verständnis für den offensichtlichen Unterschied zwischen „Wissen und Glauben“ und zwischen „Wissen und Handeln“ ermöglichen. Klassische konflikttheoretische Überlegungen postulieren, dass unbewusste, im Widerstreit stehende innere Motive, Bedürfnisse und Wünsche zu intrapsychischen Konflikten führen. Die innere (vor-) und unbewusste Beschäftigung mit dem Klimawandel sowie seinen Auswirkungen auf unser persönliches, familiäres und (globales) Sozialsystem und unsere gemeinsame Umwelt und der damit einhergehenden (indirekten und direkten) Bedrohung kann tiefgreifende Gefühle von Verlust, Schuld, Angst, Scham, Verzweiflung und Neid hervorrufen (Hoggett 2019). Aufgrund der Unerträglichkeit dieser Affekte müssen diese abgewehrt und aus dem Bewusstsein verbannt werden, denn die umfassende Realisierung des sich abzeichnenden globalen Desasters mit den leidvollen Konsequenzen für all diejenigen, die „uns lieb und wichtig sind“, und die Anerkennung unseres eigenen Beitrags zu dieser Entwicklung wären möglicherweise vernichtender und bedrohlicher für uns als die Anerkennung der Bedrohung selbst. Die Hinnahme eines drohenden „äußeren Untergangs“ gefährdet uns weniger, ist weniger beschämend für uns als der drohende „innere psychische Untergang“ (orientiert an Mentzos 2009). Im gesellschaftlichen Alltag – so die Annahme – manifestieren sich dann eben diese intrapsychischen Prozesse in Form der oben beschriebenen kognitiven Fehlwahrnehmungen und Verzerrungen an der „sozialen Oberfläche“.
Zentrale Affekte der Scham und des Neids.
In der psychoanalytischen Literatur werden die Affekte der Scham und des Neids als zentraler Motivator für unseren bisherigen und aktuellen Umgang mit der Umwelt genannt. Scham stellt einen Affekt dar, der „eine Ahnung des Scheiterns oder eines Defizits des Selbst reflektiert“ (Morrison 1984). Die durchdringende Qualität der Scham, die ihren Ursprung in einer Familienbiografie findet, in der die Wahrnehmungswelt um ein wertloses, selbstsüchtiges „Gut-für-nichts“(Selbst)-Bild konstituiert wurde (Orange 2017), besagt nicht nur, dass „ich an etwas Konkretem gescheitert bin und versagt habe“, sondern dass „ich selbst ein Versager“ bin (Morrison 1984). Diese Scham paralysiert und führt zu einem Leben in Neid – dem zentralen Inhibitor für Veränderung und Motor für unser aller Hyperkonsum. Dies ist deshalb so verhängnisvoll, da der Neid nicht nur markiert, dass wir uns unverhältnismäßig „mehr“ von etwas wünschen, sondern dass wir uns darüber hinaus „mehr davon wünschen, als die anderen besitzen“, – und: dass wir uns nicht nur danach sehnen, was die anderen besitzen, sondern dass wir die anderen, die dasjenige besitzen, was wir uns so sehr wünschen, schädigen wollen. Der Neid führt damit zu einer Kultur des „rankism“, also einer Kultur des permanenten Vergleichs und der Rangreiheneinordnung. Im Neid offenbart sich folglich die zentrale Verbindung zwischen Scham und der „Zwickmühle“, in der wir uns aktuell befinden.
Abwehrmechanismus der Verleugnung.
Die Unerträglichkeit der beschriebenen Affekte und deren Konsequenzen kann zur Verleugnung führen; ein Abwehrmechanismus, der durch die „Gleichzeitigkeit von Wissen und Nichtwissen“ gekennzeichnet ist (Le Feuvre 2012). Als unterschiedliche Ausformungen der Verleugnung des Klimawandels werden die „buchstäbliche“, die „interpretative“ und die „implizierende“ Verleugnung benannt. Während bei der „buchstäblichen“ Verleugnung der Klimawandel als nichtexistent gilt, wird bei der „interpretativen“ Verleugnung der Einfluss des Menschen auf den Klimawandel negiert und bei der „implizierenden“ Verleugnung letzterer zwar anerkannt, aber es werden keine Schlüsse hieraus gezogen. Die Verleugnung tritt in Form von „verzerrten Entscheidungsbalancen“ und „Ablasshandlungen“ zutage.
Abwehrmechanismus der Omnipotenz.
Melanie Klein (zitiert nach Le Feuvre 2012) bezeichnete Omnipotenz als einen Abwehrmechanismus gegen das „Erleben von Getrenntsein, Abhängigkeit und Neid“. Ein Zustand, in dem laut Steiner (1993) „die Realität verworfen wird, eine omnipotente Welt aus omnipotenten Figuren, denen Respekt gezollt werden muss, konstruiert wird und innerhalb derer die Realität nicht diskutabel ist und Scham und Schuld keinerlei Platz haben“. Searles (1972) diskutiert in diesem Zusammenhang Freuds genitale und ödipale Phase und postuliert: „Unsere genitale Vormachtstellung, repräsentiert durch unsere Autos, ist bedroht. Unser Neid und Hass auf ödipale Rivalen, insbesondere auf erfolgreiche Generationen, lässt uns Glück empfinden, wenn diese bis zur Ausrottung vergiftet werden“. Um der ödipalen Schuld, dass „wir die Mutter Erde vergewaltigt haben und nun gerechtfertigter Weise stranguliert und vergiftet werden“ zu entrinnen, „identifizieren wir uns mit dem, was als omnipotente und unsterbliche Technologie gilt, als Abwehr für die intolerablen Gefühle der Unbedeutsamkeit, Einsamkeit, Schuld und Todesangst“. Dabei ist „die Technik-dominierte Welt so unheimlich, ehrfurchterregend, überfordernd“, dass wir mit dieser nur zurechtkommen, indem wir „in einen unbewussten Zustand der Ent-Differenzierung von dieser Welt regredieren“.
Verarbeitungsmodi nach der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik
Übertragen in die Logik der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (Arbeitskreis OPD 2006) werden in diesen Ausführungen viele thematisch relevante Aspekte der dort definierten konfliktbezogenen Themen und kompensatorischen Verarbeitungsmodi berührt. Mit der Suche nach dem individuellen Glück, dem „Heraustreten aus der Masse“, der Selbstoptimierung und Omnipotenz werden kompensatorische Anstrengungen im Sinne eines narzisstischen Verarbeitungsmodus erbracht, um ein verzerrtes und entdifferenziertes Selbstbild bis hin zum Größenwahn aufrechtzuerhalten (OPD-Konflikt IV: Selbstwert vs. Objektwert). Daneben spiegeln sich in der „oralen Gier“ einerseits Versorgungs- und Geborgenheitswünsche in Bezug auf andere Individuen, andererseits in Bezug auf die in der psychoanalytischen Literatur verankerten mütterlichen Aspekte der Erde wider (OPD-Konflikt III: Versorgung vs. Autarkie). Aber auch Themen der Selbstermächtigung, des „modernen Raubrittertums“ und der machtvollen Dominanz gegenüber all denen, die mit uns in sozialen Bedingungsmodellen und verschleierten Produktionsketten verbunden sind (OPD-Konflikt II: Unterwerfung vs. Kontrolle). Wir übernehmen unhinterfragt die Rollen- und Gruppenidentität in der technologisierten Welt, ohne eine Identitätsambivalenz zuzulassen (OPD-Konflikt VII: Identitätskonflikt).
Weitere Abwehrmechanismen.
Neben „unreiferen“ Abwehrmechanismen wie der Verleugnung, des Omnipotenzerlebens oder der Projektion („Es sind ja die Chinesen und Amerikaner, die hauptsächlich für den ausufernden CO2-Ausstoß verantwortlich sind.“) kommen Abwehrmechanismen „reiferer Entwicklungsstufen“ vor. Häufig findet man z. B. rationalisierende („Einen Urlaub am Strand in der Karibik habe ich mir jetzt wirklich verdient, nachdem ich so viel Stress bei der Arbeit hatte.“) oder sublimierende Abwehrstrategien („Meine wissenschaftliche Arbeit im Dienste der [Klima-]Forschung erfordert zwingend meine internationale Verfügbarkeit und Mobilität“).
Labilisieren sich oben genannte Abwehr‑, Verarbeitungs- und Bewältigungsmuster, laufen wir Gefahr, in Angst, Depression und Verzweiflung zu geraten und einer Handlungsunfähigkeit im Sinne einer „environmental melancholia“ (Orange 2017) oder „eco-anxiety“ (Reser et al. 2011) ausgeliefert zu sein. – Oder aber: Wir erlangen durch die Wahrnehmung von und die Auseinandersetzung und Konfrontation mit der Realität möglicherweise Mut und Kraft zum aktiven Handeln. Es lässt sich vermuten, dass es u. a. von der Reife persönlichkeitsstruktureller Eigenschaften und von Aspekten der Bindungssicherheit abhängt (s. folgende Abschnitte), welcher dieser beiden skizzierten Wege bestritten wird und dass ihre oben skizzierte thematische Ausgestaltung durch individuelle biografische und situative Faktoren mitbedingt ist. Das eigentlich Trennende zwischen der Verleugnung und der Anerkennung des Klimawandels mag jedenfalls nicht in der Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung oder in der Analyse, Bewertung und Beurteilung notwendiger Konsequenzen in Bezug auf den Klimawandel zu sehen sein, sondern in der Art des Umgangs mit dem uns allen gemeinsamen und verbindenden innersten Wunsch: das eigene (innere) Leben, die Familie und den „eigenen Stamm“ zu schützen (Marshall 2015).

Klimawandel – eine strukturdynamische Perspektive unter Einbezug gesellschafts- und wirtschaftsdynamischer Aspekte

Die Persönlichkeitsstruktur bezeichnet in der psychodynamischen Psychotherapie „das ganzheitliche Gefüge von psychischen Dispositionen. Diese umfassen alles, was im Erleben und Verhalten des Einzelnen regelhaft, repetitiv abläuft (bewusst oder bewusstseinsfern)“. Im Vordergrund stehen psychologische Funktionen, die die Basis für einen angemessenen und flexiblen Umgang mit sich und wichtigen anderen darstellen (Arbeitskreis OPD 2006). Im Folgenden werden ausgewählte Strukturmerkmale sowohl im Hinblick auf das Individuum als auch extrapolierend im Hinblick auf die „strukturelle Reife der Gesellschaft“ beleuchtet.
Umgang mit Affekten.
Zentral für die Entwicklung und Funktion von strukturellen Kompetenzen ist der gelingende Umgang mit unseren Affekten, deren Generierung, Wahrnehmung, Differenzierung, Versprachlichung und Kommunikation („Affektkaskade“; Rudof 2012). Die Wahrnehmung und Versprachlichung, also „Symbolisierung“ von Affekten, scheint – trotz der zunehmenden medialen Berichterstattung und öffentlichen Rezeption (Figueres et al. 2018) – auch eines der zentralen Probleme im Umgang mit dem Klimawandel zu sein. Der Klimawandel, die damit verbundenen Affekte und deren Kommunikation bleiben sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene im Sinne eines Symbolisierungsdefizits „präsymbolisch“ und präsentieren sich an der Oberfläche als „kollektive Verleugnung“.
Es stimmt zwar: Seit August 2018 demonstrieren freitags – inspiriert durch Greta Thunberg – weltweit bis zu 1,78 Mio. Schüler der Bewegung „Fridays for Future“ (www.​fridaysforfuture​.​de). Als „scientists for future“ (www.​scientists4futur​e.​org) validierten 26.802 Wissenschaftler die Berechtigung und Legitimität der Zukunftssorgen und -ängste der Schüler (Hagedorn et al. 2019). Psychotherapeuten bekennen sich als „psychotherapists for future“ (www.​psychotherapists​forfuture.​org). Doch abseits kanalisierter Ströme, zwischen den Leitplanken der sozialen Toleranz und Legitimation sowie punktuell (strategisch) wohlbedacht dosierter Zustimmung anderer, herrscht im Wesentlichen eines vor: Stille. Es herrscht die kollektive soziale Norm des Schweigens: Bis vor wenigen Jahren hat lediglich ein Viertel der Menschen nie den Klimawandel mit einem Gegenüber thematisiert oder diskutiert – das einflussreichste Narrativ des Klimawandels ist und bleibt (vorerst) das „Nicht-Narrativ der kollektiven Stille“ (Marshall 2015), v. a. im Hinblick auf die resultierenden Handlungskonsequenzen.
Diese kollektive Stille, die kollektive Tabuisierung hat deutliche Ähnlichkeiten zu dem anderen großen Tabu unserer Gesellschaft: unserem Umgang mit dem Älterwerden, mit Krankheit und Tod. Die Sterbephase in Bezug auf unsere „Hitzeerkrankung“ ist am ehesten mit dem Stadium des „Nicht-wahrhaben-Wollens“ nach Kübler-Ross (1971) treffend beschrieben. Dieser maladaptive Umgang mit der Endlichkeit des Individuums spiegelt sich in unserem gesellschaftlichen Umgang mit der Klimaproblematik.
Identität, Selbstwertregulation und Impulssteuerung.
Eine ausgereifte Identität beschreibt das zeitlich stabile, in sich kohärente Selbstbild (Arbeitskreis OPD 2006). Auch Haltungsfragen zum Thema Klimawandel werden zu einem sozialen Marker für Gruppenzugehörigkeit und -identität. Die Thematik erhält damit eine soziale Bedeutung. Die Einstellung zum Klimawandel wird zu einem sozialen Signal, einem „sozialen ‚signifier‘“, mit dem sich unmittelbar mitteilt, welche Person zur Gruppe gehört und welche wiederum nicht (Marshall 2015). So zeigt sich in wissenschaftlichen Untersuchungen einerseits, dass die politische Gesinnung einen der wichtigsten Prädiktoren für die Anerkennung oder Nichtanerkennung der anthropogenen Genese des Klimawandels darstellt, andererseits – wenn man die Ergebnisse für die politische Grundhaltung korrigiert – dass der gruppenkohäsive Faktor das zentrale Element für die Haltung zum Klimawandel repräsentiert. Übersetzt bedeutet dies, dass die Einstellung und Haltung zum Klimawandel als ein Vehikel zu Schaffung und Festigung der (sozialen) Gruppenzugehörigkeit fungiert (McCright et al. 2013). Dies kann zur Folge haben, dass auch dann an gemeinsamen sozialen Normen festgehalten wird, wenn diese möglicherweise hinterfragbar oder gar falsch sind, da ein solches Festhalten eine (vordergründig) einfachere Lösung darstellt als eine selbstkritisch-reflexive Beschäftigung mit einer Thematik, ein Eingestehen eines Irrwegs und eine Initiierung einer Verhaltensänderung. So werden – wie oben unter kognitionspsychologischen Aspekten beleuchtet – alle Informationskanäle so interpretiert und selektiert, dass bereits bestehende Überzeugungen untermauert werden. Dies kann zu selbstkonstruierten, sich selbst stetig rückbestätigenden sozialen Netzwerken führen, die in einer „Echo-Kammer“ ständig einen „falschen Konsens“ im Sinne einer pluralistischen Ignoranz reproduzieren (Marshall 2015).
Diese Aspekte sind eng mit der Selbstwertregulation verknüpft (Arbeitskreis OPD 2006). Die gesellschaftliche medial geprägte (Wunsch‑)Identität und die zur Regulation des Selbstwerts zur Verfügung stehenden Instrumente gründen sich auf einem forcierten Individualismus, einer Fokussierung auf die individuelle Selbstoptimierung und einem „entgrenzten“ Konsumverhalten. In dessen Zentrum stehen (Konsum‑)Produkte, die zu einem identitätsstiftenden Kommunikationsinstrument geworden sind (Paech 2018) und uns im Sinne eines „falschen Selbst“ bekleiden. In einer techniküberzeugten „narzisstischen Egozentrik“ verfügen wir über die Welt und entfremden uns zeitgleich von ihr (Le Feuvre 2012). Die Orientierung an den Werten des „Gemeinsamen, Sozialen und Kollektiven“ hat sich in Richtung der Werte des „Selbst, des Persönlichen und der Individualität“ verschoben.
Machbarkeitsüberzeugungen und Omnipotenz prägen auch die allseits prominente Überzeugung, dass ein „technical fix“ möglich sein wird, der Klimawandel also durch technische Lösungen, über Innovation und Kompetition „gelöst“ werden kann. Zwar stellen technische Innovationen eine der relevanten Säulen in der Bekämpfung des Klimawandels dar bzw. werden sie darstellen. Bei der näheren Beschäftigung z. B. mit Themen des „solar radiation management“ und der „Carbon-capture“-Verfahren zeigt sich aber, dass die globalen Nebeneffekte des „global climate engineering“, bei dem regelmäßig Millionen Tonnen von Schwefel in die Stratosphäre verbracht werden, kaum abschätzbar sind. Carbon-capture-Verfahren, die CO2 direkt aus der Luft filtern, weisen einen extrem hohen Energiebedarf auf und sind sehr kostenintensiv. Auch um eine „Massentauglichkeit“ der Elektromobilität zu erreichen, müsste die bundesweite Netzleistung für die Breite der Bevölkerung um ein Vielfaches erhöht werden. Dies bedeutet, dass diese „idealisierten Lösungen“ z. T. mit extremen Unwägbarkeiten, massiven Problemen und assoziierten Gefahren verknüpft sind (Marshall 2015).
Das Verlangen nach sofortiger Befriedigung von Bedürfnissen und die unzureichende Kontrolle über kaptative Impulse (Arbeitskreis OPD 2006) äußern sich in einem ungezügelten, entgrenzten „Habenwollen“, sich Be- und Ermächtigen sowie Konsumieren (Orange 2017). Das Resultat ist eine verschlingende „Oralisierung der Welt“ als Produkt einer Erziehung unserer Kinder ohne angemessene Frustrationsherausforderungen, ohne Bedürfnisaufschub und mit unzureichenden wertebildenden Informationen. Unser Wohlstandsmodell hat sich in eine Wachstumsabhängigkeit manövriert, die auf ökologischer Plünderung sowie Plünderung und Versklavung von Mitmenschen (Global Slavery Index 2018) basiert und in Deutschland 11 t CO2/Kopf und Jahr verschlingt (WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen 2009).
Der Versuch, das wirtschaftliche Wachstum durch „Effizienzsteigerung“ und „Erhöhung der Konsistenz“ von dieser Plünderung zu entkoppeln, ist laut Wirtschaftswissenschaftlern, die sich mit der „Postwachstumsökonomie“ beschäftigen mit der Schwierigkeit behaftet, dass eingesparte Ressourcen im Sinne von „Rebound-Phänomenen“ infolge meist anderen Wirtschaftsprozessen zugeführt werden und diese notwendigen Anstrengungen deshalb besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Diese Wirtschaftsexperten fordern einen Weg vom „Objekt“ zum „Subjekt“ mit einer Reduktion der industriellen Produktion sowie Wiederherstellung einer ökologischen und sozialen Stabilität. Diese umfasst die Aufhebung der räumlichen Entgrenzung von Produktionsketten, eine Ökologie der Nähe, eine Abfederung potenzieller Wachstumszwänge sowie partielle Selbstversorgung. So schwer vorstellbar, so unwahrscheinlich, so unglaublich die Realisierung – die Frage scheint nicht, ob, sondern lediglich, wie wir dorthin gelangen: „by design or by disaster“ (Paech 2018). Bewegungen wie Extinction Rebellion stellen die weithin gesellschaftlich verankerte Haltung, dass die Bedürfnisse eines Individuums über denen des „Kollektivs“ stehen, grundlegend infrage.
Empathie, Schutz von Beziehungen.
Die Grenzlinie zwischen einem forciert-entgrenzten Individualismus einerseits und dem Schutz des „Kollektivs“ andererseits bildet sich auch in der globalen Dynamik ab. Als privilegierte Menschen glauben wir, dass wir uns abschotten können: politisch, räumlich, wirtschaftlich. Keine Empathie, kein Einfühlungsvermögen aufbringen zu müssen, das Leid anderer nicht wahrnehmen, das (weit entfernte) Gegenüber nicht schützen zu müssen (Arbeitskreis OPD 2006). Der Expräsident Anote Tong der dem Untergang geweihten Inselrepublik Kiribati im zentralen Pazifik beschreibt es, wie folgt: „Länder, die Kohle verfeuern, einen großen CO2-Fußabdruck haben, tun das auf unsere Kosten. Wenn diese Länder wissen, dass ihr Verhalten dem Leben unseres Volkes schadet und sie machen trotzdem so weiter – Was ist das dann? Das ist ein kriegerischer Akt. Und wir haben nicht die Mittel, uns zu wehren“. Mittlerweile haben erste Bürger Kiribatis als Klimaflüchtlinge in Neuseeland Asyl erhalten.
Die psychoanalytische Literatur hat sich ausführlich mit der Natur, den Auswirkungen des Holocaust und dem Umgang damit befasst (Passett und Modena 1987). Die heutige, aktuelle Krise besitzt im Hinblick auf das „kollektive Wegschauen“ und die Billigung der drohenden Auslöschung ganzer Völker laut einiger Autoren eine „äquivalente Dimension wie die durch das Naziregime hervorgebrachte Krise“ (Orange 2017). Die Opfer haben durch die einzigartige Dimension der Brutalität und Menschenverachtung des NS-Regimes unermessliches Leid erfahren. Auch in diesem Moment stehen wir „einer immanenten Bedrohung durch nichts weniger als der Auslöschung unserer zivilisatorischen Existenz gegenüber; […] die Ärmsten [sind] bedroht durch unseren eigenen Konsum und unsere eigene Abhängigkeit von den Vorzügen und dem Komfort, den uns die fossilen Energieträger ermöglichen“ (Orange 2017). Damit stehen wir als globale Gesellschaft auch vor der Frage, ob wir den Wert eines Menschen nur nach seinem (monetären) Besitz bemessen wollen, erneut – wie zur Zeit des Nationalsozialismus – vor der Frage „Was kann ich tun – gegen so viele?“, und – wieder – vor der Frage, ob wir zu „Rettern“ oder „Bystandern“ werden. Bleiben wir auf dem anvisierten Kurs, werden wir die „Zäune noch höher ziehen müssen“, laufen Gefahr, in einen Prozess der Degeneration hin zu einem „Krieg aller gegen alle“ einzutreten und noch mehr „Brüder und Schwestern ertrinken, verhungern und verbrennen lassen“ (Orange 2017), wie wir dies z. B. in der aktuellen Flüchtlingsdynamik ohnehin schon zu tun bereit sind (Borcsa und Nikendei 2017). Doch das CO2 kennt keine Abschottung, es erkennt Ländergrenzen nicht an: der „Panhomizid“ wird so zum „Pansuizid“.
Körperselbst, Bindung und Internalisierung.
All dem Geschilderten liegt zugrunde, dass wir uns mit unserem Körpererleben und unserer reduzierten Bindungsfähigkeit (Arbeitskreis OPD 2006) weit von unserem Ursprung der Natur und der „Mütterlichkeit“ der Erde entfernt haben. Die technologischen Errungenschaften und ihre „scheinbare omnipotente Dominanz über die Natur offenbaren uns ein immer verführerischeres Objekt, auf welches wir unser unmenschliches Machtstreben nach Omnipotenz projizieren“ (Searles 1972). In diesen Ausführungen spiegeln sich auf sozialwissenschaftlicher Ebene Überlegungen von Rosa und Dornes zu Beschleunigung der und Entfremdung von der Welt, die zu Desynchronisation und Entdifferenzierung der Gesellschaft führen, in eine Resonanzlosigkeit gegenüber der Welt münden sowie einem Narzissmus Vorschub leisten, jedoch auch in der Konsequenz, in eine „Psycho-“ und „Ökokrise“ münden können. Es „verarmen dabei unsere tiernahen und naturbezogenen Selbstanteile“ (Searles 1972). Und im Hinblick auf das „ökologische Selbst“ führte Freud aus, dass „das Ich ursprünglich all-umfassend war, es aber später einen Teil – die externale Welt – von sich abtrennte. Unsere Sinne für das Selbst stellen nur ein begrenztes Residuum eines weitaus umfassenderen, alles umschließenden Gefühls dar, welches mit einem intimeren Zusammenhalt zwischen dem Ich und der umgebenden Welt korrespondierte“ (Freud 2002).

Klimawandel – eine psychotraumatologische Perspektive

Traumata und psychische Folgeerscheinungen von Traumatisierung können sich bei Opfern, aber auch Tätern klinisch manifestieren. Traumaereignisse können in räumlich-zeitlich fragmentierte Erinnerungen, Vermeidungsverhalten, Arousal und Dissoziation münden. Der Organismus kann mit den beschriebenen Reaktionen Kampf („fight“) und Flucht („flight“) auf eine Gefährdungs- oder Alarmreaktion regieren. Gelingt weder die Flucht noch eine Verteidigung, kann ein Erstarren („freeze“) resultieren. Auch das Klimatrauma, die Bedrohung der physischen Integrität des Selbst und von Mitmenschen durch die Auswirkungen des Klimawandels, kann paralysieren, uns als Miturheber des Klimawandels erstarren lassen. Es entmachtet unsere Anspruchsüberzeugung und raubt uns unsere Zukunftsvisionen (Orange 2017). Wir sind als Täter traumatisiert durch das, was wir der Welt, unseren Kindern, den Mittellosen, „unseren Brüdern und Schwestern“ angetan haben – eingereiht in das historische Erbe des Kolonialismus, des Nationalsozialismus, des Rassismus und der Sklaverei (Hoggett 2019). Dies mündet in die Dissoziation, die der Forschung erlaubt, Studien durch Ölfirmen finanzieren zu lassen, und Politikern erlaubt, den Klimawandel als „größte Gefahr des 21. Jahrhunderts“ zu bezeichnen und zeitgleich Ölreserven in der Arktis zu erschließen. Klimaforscher diskutieren tagsüber die „Extinktion der Schwertfische“ und essen abends Schwertfische. Die Dissoziation ermöglicht uns, unseren Fleischkonsum zu reduzieren, aber wie andere 66,2 Mio. deutsche Bundesbürger im Sommerflugplan 2018 einen internationalen Flug in Anspruch zu nehmen. Oder wie manche Opfer von Klimakatastrophen zu verharren, Zerstörtes zu rekonstruieren und einfach so weiterzumachen, in der Annahme, dass es einen „nicht nochmals erwischen wird“. Doch wenn wir Mitverursacher die Existenz und Mitbeteiligung an einem Verbrechen anerkannt haben und die Betroffenheit durch den Klimawandel auch als „Opfer“ realisieren, gibt es keine Möglichkeit mehr, ein „Bystander“ zu sein (Marshall 2015). Und wenn wir nicht gänzlich in Panik geraten, bergen die Anerkennung und das Realisieren eine Chance, dass wir in puncto Menschlichkeit eine Lektion erfahren, die uns unsere Vergangenheit reevaluieren und unsere Zukunft kritisch überdenken lässt (Orange 2017).

Klimawandel – „where to go from here?“ und die mögliche Rolle von Psychotherapeuten und Psychotherapie

Was die Menschheit erreichen muss: Wollen wir die Pariser Klimaziele erreichen, müssen wir unsere durchschnittliche CO2-Reduktion von 11,0 t vorerst auf ca. 2,7 t/Jahr und Bundesbürger reduzieren (WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen 2009). Bis zum Jahr 2050 müssen wir die CO2-Emission weltweit auf 0 t oder sogar auf Negativemissionen reduzieren (!). Sonst werden die schmerzhaften „Widerfahrnisse“ unserer Alltagsrealität selbst unsere besten Lehrmeister, unsere „teachable moments“ werden – vom Verfügbarkeitsbias („availability bias“) vor uns selbst hergetrieben (Marshall 2015). Oder wir „entscheiden“ uns, den Herausforderungen dieser „historischen Unbewusstheit“ entgegenzutreten (Orange 2017). Hierzu bedarf es einer gelungenen, bedachten Kommunikation, einer radikalen (Gesellschafts- und Wirtschafts‑)Ethik und Psychotherapeuten, die für Opfer und Täter zur Verfügung stehen, diese in die Handlungsfähigkeit begleiten, „Farbe bekennen“ und im besten Fall mit ihrem CO2-Abdruck (www.​eingutertag.​org) „Vorbild“ sind.
Kommunikation.
Klimakommunikation muss bestimmten Regeln folgen; ihr soll Aufmerksamkeit geschenkt und „gefolgt“ werden. Die Quellen müssen vertrauenswürdig sein, die Botschaft relevant, klar, unmissverständlich und kohärent. Der Inhalt muss bestenfalls Informationen beinhalten, die mit den Informationsbedürfnissen und den persönlichen Lebensbedingungen der Adressaten abgestimmt sind. Erforderliche Maßnahmen sollten, soweit möglich, innerhalb des Handlungsspektrums der Zielgruppe liegen (Clayton et al. 2015). Klimakommunikation muss das „emotionale Gehirn“ mitansprechen und einen Raum auch für schwierige Affekte eröffnen. Einen Raum, um zu üben, den Klimawandel zu „symbolisieren“ – denn: Wenn dieser in die Realität unserer Sprache tritt, tritt er in unsere Bewusstseinsrealität und wird damit Teil unserer Lebensrealität. Die Symbolisierung umschließt die Offenheit für die Versprachlichung von Affekten, von Betroffenheit, der Verzweiflung, Scham, der Schuld und Trauer. Das Anerkennen einer solchen gemeinsamen Verwundbarkeit vermindert Schamgefühle und birgt die Chance, in einer gemeinsamen verbindenden Entschlossenheit zu münden (Orange 2017). Und auch andere Kommunikationskanäle müssen genutzt werden. Die bedeutendsten und wirksamsten Optionen, die dem Einzelnen zur Verfügung stehen, sind die Optionen des Kollektivs. Der Anschluss an kollektive Initiativen, die Beteiligung an der kollektiven Kommunikation. Politisches Engagement, Assoziation an soziale und politische Bewegungen und deren finanzielle Unterstützung, Mitwirken bei Demonstrationen, die Unterzeichnung von Petitionen, der Gebrauch des Wahlrechts (Clayton et al. 2015). Dabei schützt eine Balance zwischen Pessimismus und Optimismus davor, in polarisierendes Denken zu verfallen.
Radikale Ethik in Gesellschaft und Postwachstumsökonomie.
Es bedarf ohne Zweifel eines Werte- und „Währungs“-Wandels, wie er sich im Hinblick auf eng begrenzte Korridore zart am Horizont abzuzeichnen scheint. Wir müssen den „Bystander-Effekt“ überwinden, eine eigene Meinung und Haltung haben, Feindbilder aufgeben und einen Dialog, geprägt von Kooperation, wechselseitigem Interesse und gemeinsamer Menschlichkeit, initiieren. Die relationale Analytikerin Orange (2017) fordert in ihrem Buch Climate change, psychoanalysis, and radical ethics nichts Geringeres als die letztgenannte radikale Ethik und eine globale soziale Gerechtigkeit im Schulterschluss mit den Philosophen Kant und Habermas sowie Thomas Kohut, dem Historiker und Sohn von Heinz Kohut. Die uns alle durchdringende soziale kollektive Abwehr (Orange 2017) muss wohlwollend begleitet, aber unirritierbar „labilisiert“ werden, indem wir beginnen,
  • die globale Erwärmung als ein prozesshaftes Geschehen mit all den damit verbundenen Gefühlen anzuerkennen,
  • das Ende der Ära der fossilen Brennstoffe zu betrauern (Marshall 2015),
  • auf politischer, ökonomischer, technischer, ideologischer Ebene in der Haltung einer radikalen Ethik Ungerechtigkeiten und Glück (auf Kosten anderer) nicht zu tolerieren (Orange 2017),
  • kooperative und nicht kompetitive Werte zu vertreten,
  • unsere Beteiligung an dem Desaster des Klimawandels und unsere Emission anzuerkennen,
  • auf der Hut vor unserer eigenen kognitiven Verzerrung zu sein,
  • uns auf eine neue Gesellschaftsorganisation einzustellen, in der Maßlosigkeit keinen Platz hat und die eher aus Teilen, Reparieren und Bewahren besteht – und nicht aus Konsumieren,
  • wieder Kontakt zu der mütterlich, ernährenden Seite der Natur zu suchen, sie als Wert wahrzunehmen und zu erfahren – eine Verbindung zu dem, was wir im Begriff sind zu zerstören.
Ein Handeln im Kontext der Dialektik der radikalen Ethik mag als ein Widerspruch und eine relative Machtlosigkeit erscheinen – sie umschließt jedoch eine ganz erhebliche Macht, das Blatt zu wenden: die Macht unserer eigenen Emissionen.
Rolle von Psychotherapeuten.
Was aber kann die Rolle der ärztlichen und der psychologischen Psychotherapeuten sein? Wir sind Experten
  • des Narrativs,
  • für Emotionen sowie dahinterliegende Motive und Verstrickungen,
  • der Benennung von Affekten,
  • der Offenbarung von sich und seiner eigenen Gefühle,
  • der Konfrontation, Identifikation von Widerstand und Abwehr und darin, Aspekte in einen relevanten (biografischen Gesamt‑)Zusammenhang zu rücken,
  • des Verständnisses der Rollen von Trauer, Wut und (innerem) Abschied, um ein Mehr an innerer und äußerer Handlungsfreiheit zu erzielen.
Mit unseren Kompetenzen, die Dynamik des Klimawandels in seiner Tiefe zu durchdringen, haben wir eine besondere Verantwortung nicht nur auf Patientenebene, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Aber: „Wir müssen raus aus unseren komfortablen Konsultationszimmern“ (Orange 2017). Orange (2017) schlägt vor, dass sich die psychotherapeutischen Repräsentativorgane aller Therapierichtungen zusammenschließen sollten sowie Treffen, Seminare und Fortbildungen in diesem erweiterten Kreis vorrangig lokal gemeinsam abhalten sollten. Bisherige internationale Seminare, Kolloquien und Workshops sollten online im Videokonferenzformat stattfinden. Der schmerzliche Verlust der Kontinuität der zwischenmenschlichen Begegnungen sollte durch internationale Zusammenkünfte kompensiert werden, die in einem Rhythmus von mehreren Jahren möglichst mit allen Verbänden stattfinden sollten. Die Psychotherapie könnte ihrem „Image, elitär anzumuten“ entgegentreten sowie eine Signal- und Vorreiterrolle in der Gestaltung einer neuen, einfacheren und gerechteren Welt übernehmen.
Therapie.
Wie oben ausgeführt, wird der Klimawandel dadurch mitverursacht und mitunterhalten, dass wir aversive Emotionen aus dem Bewusstsein fernzuhalten versuchen. Der Klimawandel wird zwangsläufig immer mehr in den therapeutischen Raum eintreten – die mediale Präsenz, die zunehmenden geopolitischen Spannungen sowie die immer häufiger zutage tretende schockierende Wirklichkeit der Klima‑, Flucht- und schlimmstenfalls Kriegsrealität mit ihren zunehmend spürbaren Auswirkungen auf unsere Alltagswirklichkeit werden dem Thema den Weg dorthin bahnen. Dort werden wir auf Angst, Ambivalenz und (enttäuschte) Hoffnungen („anxiety, ambivalence, aspiration“; AAA) treffen und therapeutisch mit der Förderung von Achtsamkeit, Zusammenschluss mit anderen und agentischem Selbstverständnis zu tun haben („awareness, association, agency“, AAA; Hoggett 2019). Es gibt bereits erste, meist gruppentherapeutische Angebote, die im Zeichen der Achtsamkeit stehen und im Rahmen derer sich Interessierte und Betroffene mit der Beschädigung der Natur, der persönlichen Belastung und der Rückbesinnung beschäftigen. Diese „emotionally reflective methods“ (EMR; Hoggett 2019) versuchen, dem Rechnung zu tragen, dass es schwerfällt, Emotionen, die mit dem Klimawandel einhergehen, anzuerkennen und auszudrücken. Zuhören, Anerkennen, Benennen, Raum geben im Sinne eines „fear containing approach“ spielt eine wesentliche Rolle (Hoggett 2019). Denn, ohne die Erlaubnis und die Möglichkeit dazu, diese Gefühle ausdrücken zu können, verbleiben Individuen und die Gesellschaft in einem Zustand von emotionaler Paralyse, die Engagement, Aktivität und Antwortfähigkeit verhindert. Damit dies nicht passiert, müssen Prozesse, die am ehesten im Verborgenen in psychotherapeutischen Prozessen stattfinden, nicht nur dem einzelnen Menschen ermöglicht, sondern in die Breite der sozialen gesellschaftlichen Kontexte übersetzt werden, wie es aktuell vereinzelt schon Wirklichkeit und Realität wird. Wir Menschen benötigen eine korrigierende Beziehungserfahrung zu unseren Wurzeln, zur Erde, zu Begrenzung, die als Einklang und nicht als Verzicht erlebt wird. Dies verlangt Achtsamkeit, Wertereflexion, Entschleunigung und Besinnung auf Wesentliches. Die Offenlegung von unterbewussten Dynamiken hilft uns dabei zu verstehen, wie wir psychologisch beeinflusst werden (Hoggett 2019). Inwieweit Patienten mit einem großen CO2-Abdruck im therapeutischen Kontext mit diesem Verhalten konfrontiert werden dürfen oder sollen, wird unter dem Aspekt der therapeutischen Abstinenz sehr kontrovers diskutiert – bis dahin, dass im Verständnis der existenziellen Psychotherapie ein solcher Patient als potenziell „fremdgefährdend“ angesehen werden könnte (Chmielewski 2019). So oder so geht es um den Schritt von der Verleugnung hin zu einem integrierten Denken, um den Schritt vom entgrenzten Individualismus zu Gemeinschaftlichkeit, um den Schritt vom Elitären zum Sozialen. Dann existiert eine Chance, und alles wird anders: Der Klimawandel wird zum Katalysator für den globalen sozial-politischen Wandel (Orange 2017).

Fazit für Praxis

  • Kognitionspsychologische, psychodynamische und psychotraumatologische Konzepte können ein tiefgreifenderes Verständnis für die offensichtliche Handlungsunfähigkeit in Bezug auf die globale Erwärmung generieren und im besten Falle helfen, diese zu überwinden.
  • Wenn es uns als Psychotherapeuten in der doppelten Rolle – als Vorbilder und als Behandler – gelingt, mit eigenen Affekten wie Angst, Trauer, Schuld und Scham umzugehen sowie andere Menschen und unsere Patienten aus der traumatischen Paralyse zu befreien, können wir dazu beitragen, dass die Herausforderung der globalen Erderwärmung zu einem sozial-politischen Wendepunkt wird, der „alles verändert“.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

C. Nikendei gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Klima, Psyche und Psychotherapie
Kognitionspsychologische, psychodynamische und psychotraumatologische Betrachtung einer globalen Krise
verfasst von
Prof. (apl.) Dr. med. Christoph Nikendei, MME
Publikationsdatum
16.01.2020
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Psychotherapie / Ausgabe 1/2020
Print ISSN: 2731-7161
Elektronische ISSN: 2731-717X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00278-019-00397-7

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29.05.2024 Hörstörungen Nachrichten

Hört jemand im Alter schlecht, nimmt das Hirn- und Hippocampusvolumen besonders schnell ab, was auch mit einem beschleunigten kognitiven Abbau einhergeht. Und diese Prozesse scheinen sich unabhängig von der Amyloidablagerung zu ereignen.

So wirken verschiedene Alkoholika auf den Blutdruck

23.05.2024 Störungen durch Alkohol Nachrichten

Je mehr Alkohol Menschen pro Woche trinken, desto mehr steigt ihr Blutdruck, legen Daten aus Dänemark nahe. Ob es dabei auch auf die Art des Alkohols ankommt, wurde ebenfalls untersucht.