Skip to main content
Erschienen in: Die Ophthalmologie 5/2024

Open Access 06.03.2024 | Nävi | Originalien

Untersuchung der Genauigkeit klinischer Diagnosen von Neoplasien der Konjunktiva

Vergleich mit den histologischen Befunden nach Exzision

verfasst von: Arved Rikus Gruben, Kristin Hösel, Johann Roider, Christoph Ehlken

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 5/2024

Zusammenfassung

Hintergrund

Neoplasien der Bindehaut umfassen eine Vielzahl verschiedener Entitäten mit jeweils unterschiedlicher klinischer Präsentation. Diese sind anhand klinischer Merkmale nicht immer eindeutig voneinander zu unterscheiden. Die R0-Resektion stellt den Goldstandard für die meisten malignen Tumoren der Bindehaut dar, aber nicht jede benigne Läsion muss mittels Exzision behandelt werden. Im klinischen Alltag muss häufig ein konservatives Vorgehen gegen eine operative Exzision abgewogen werden.

Ziel

Ziel dieser Arbeit war es, die Genauigkeit klinischer Diagnosen bei Neoplasien der Bindehaut zu ermitteln.

Methoden

In einer retrospektiven Untersuchung wurden im Zeitraum zwischen 2011 und 2020 die Daten aller Patienten nach Exzision eines Bindehautbefundes, die an der Klinik für Ophthalmologie am UKSH Campus Kiel operiert wurden, extrahiert und ausgewertet. Es wurde jeweils die Spezifität, Sensitivität und der positive und negative Vorhersagewert für die präoperative klinische Einschätzung der Dignität und die diagnostische Gruppe anhand des histopathologischen Befundes ermittelt.

Ergebnisse

Von 220 eingeschlossenen Fällen waren nach histologischer Beurteilung 75 % benigne, 25 % maligne. Die häufigste Neoplasie war der benigne Bindehautnävus (12,3 %). Die Sensitivität für die klinische Vorhersage einer benignen Läsion lag bei 0,86 (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,59–0,92), die Spezifität bei 0,95 (95%-KI: 0,85–0,99) und der positive Vorhersagewert bei 0,98 (95%-KI: 0,94–1,0). Die Sensitivität für die klinische Vorhersage maligner Dignität ergab 0,95 (95%-KI: 0,85–0,99), Spezifität 0,88 (95%-KI: 0,83–0,93) und der positive Vorhersagewert 0,73 (95%-KI: 0,61–0,83).

Schlussfolgerung

Die ermittelten Werte für die klinische Diagnose sind als gut zu bewerten. Dennoch sollte im klinischen Alltag, insbesondere bei untypischen Läsionen, die Verdachtsdiagnose kritisch überprüft werden und im Zweifel eine Exzision angestrebt werden.
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Neoplasien der Bindehaut umfassen verschiedene Entitäten mit jeweils unterschiedlicher klinischer Präsentation [1]. Diese sind anhand klinischer Merkmale nicht immer voneinander zu unterscheiden. Die In-sano-Resektion gilt als Goldstandard in der Behandlung maligner Bindehautläsionen. Dabei ist zu beachten, dass ausgedehnte invasive Exzisionen benigner Läsionen mit Komplikationen wie z. B. Vernarbung einhergehen und ein gutes funktionelles und kosmetisches Ergebnis gefährden. Dennoch kann eine zu knappe Exzision eines malignen Befundes mit einer Non-in-sano-Situation zu einer erneuten Operation führen. Außerdem ist bei einer ausgebliebenen frühen Exzision einer malignen Läsion die Gefahr einer Progression mit teilweise weitreichenden Konsequenzen wie z. B. Metastasen zu bedenken. Im klinischen Alltag muss häufig ein konservatives Vorgehen gegen eine operative Exzision abgewogen werden. Für die Genauigkeit der klinischen Diagnose von Bindehautneoplasien/-tumoren besteht aktuell nur wenig Evidenz. In einer Publikation der Arbeitsgruppe um Cinotti wurde die Genauigkeit der konfokalen Mikroskopie mit der klinischen Diagnose und dem histopathologischem Ergebnis verglichen. Dort wurde eine Sensitivität von 88 % und Spezifität von 88 % für die klinische Diagnose angegeben [2]. Andere Arbeiten liegen nicht vor. Das primäre Ziel dieser Arbeit war es, die Genauigkeit klinischer Diagnosen bei Neoplasien der Bindehaut zu ermitteln.

Methoden

In einem monozentrischen, retrospektiven Design wurden die Daten aller Patienten nach Exzision eines Bindehautbefundes im Zeitraum zwischen 2011 und 2020, die an der Klinik für Ophthalmologie am UKSH Campus Kiel operiert wurden, extrahiert und ausgewertet. Es wurden alle Fälle eingeschlossen, bei denen eine primäre Exzision durchgeführt wurde. Ausgeschlossen wurden Fälle, bei denen ein histologischer Befund bereits vor der Operation vorlag (z. B. externe Biopsie, Nachresektion).
Die klinische Diagnose vor Exzision wurde aus dem histologischen Einsendebogen ermittelt, die von Fachärzten der Augenklinik am UKSH in Kiel gestellt wurden. Der histologische Befund wurde der Dokumentation des histologischen Labors der Augenklinik des UKSH in Kiel entnommen.
Zur Vergleichbarkeit wurden die klinischen Diagnosen und die histopathologischen Befunde zuerst anhand der Dignität in zwei Gruppen (benigne/maligne) eingeteilt. Danach wurde eine weitere Einteilung in jeweils 3 Subgruppen anhand der Zelllinien durchgeführt (Abb. 1). Primär erworbene Melanosen (PAM) mit Dysplasien wurden als maligne eingeordnet, PAM ohne Dysplasien als benigne. Carcinomata in situ wurden als maligne eingeordnet.
Es wurde jeweils die Spezifität, Sensitivität, der positive und negative Vorhersagewert sowie ein Cohen-Kappa-Wert für die Gruppen und Subgruppen gegenüber der histologischen Beurteilung als Goldstandard ermittelt. Die statistische Auswertung erfolgte über die Software R (R-Project, Version 4.1.1, Wien/EHT Zürich/Oxford/Iowa).

Ergebnisse

Patientenmerkmale

Von den insgesamt 220 eingeschlossenen Patienten waren 120 (54,5 %) weiblich und 100 (45,5 %) männlich. Der Median des Alters betrug 64 Jahre (IQR 23). In 106 Fällen (48,2 %) war das rechte Auge betroffen, in 114 Fällen (51,8 %) das linke Auge.
Die Häufigkeit der Befunde wird anhand der histopathologischen Diagnosen angegeben. Der größte Anteil aller Fälle war mit 75 % benigne. Maligne waren 25 % der konjunktivalen Neoplasien. Die häufigste Neoplasie war der benigne Nävus der Bindehaut (Abb. 2). Epithelial maligne Befunde zeigten sich mit in 9,5 % aller Fälle, melanozytär maligne Befunde in 8,6 % aller Fälle und Lymphome in 6,8 % aller Fälle (Tab. 1).
Tab. 1
Übersicht der Befunde (histopathologische Diagnosen)
Übersicht der Befunde (histopathologische Diagnosen)
Absolute Anzahl
Anteil gesamt (%)
Anteil an Gruppe (%)
Benigne
165
75,0
Epithelial benigne
16
7,3
Papillom
8
3,6
50,0
Zirkumskripte Hyperkeratose/keratotische Plaque
3
1,4
18,8
Benigne reaktive entzündliche Epithelhyperplasie
3
1,4
18,8
Aktinische Keratose
2
0,9
12,5
Melanozytär benigne
29
13,2
Nävus
27
12,3
93,1
PAMa ohne Atypie
2
0,9
7,4
Übrige benigne
120
54,5
Nicht neoplastische benigne Veränderungen
109
49,5
90,8
Pterygium
69
31,4
57,5
Konjunktivale Inklusionszyste
11
5,0
9,2
Pinguecula
4
1,8
3,3
Unspezifische entzündliche Veränderungen
23
10,5
19,2
Orbitafettprolaps
2
0,9
1,7
Vaskuläre benigne Tumoren
6
2,7
5,0
Pyogenes Granulom
5
2,3
4,2
Venöse Malformation
1
0,5
0,8
Choristomatöse Neoplasien
2
0,9
1,7
Dermoidzyste
1
0,5
0,8
Dermolipom
1
0,5
0,8
Fibröse Tumoren
1
0,5
0,8
Fibrom
1
0,5
0,8
Sonstige Tumoren
3
1,4
2,5
Benigne reaktive lymphoide Hyperplasie
1
0,5
0,8
Karunkelzyste
1
0,5
0,8
Onkozytom
1
0,5
0,8
Maligne
55
25,0
Epithelial maligne
21
9,5
Carcinoma in situ
6
2,7
28,6
Plattenepithelkarzinom
15
6,8
71,4
Melanozytär maligne
19
8,6
PAMa mit Atypie
4
1,8
21,1
Malignes Melanom
15
6,8
78,9
Lymphome
15
6,8
100,0
a„primary acquired melanocytosis“/primär erworbene Melanozytose

Auswertung der Genauigkeit der klinischen Diagnose

Für die Auswertung der klinischen Einschätzung der Dignität wurden jeweils zwei separate Kreuztabellen erstellt, da in vier Fällen klinisch die Dignität als unklar angegeben wurde. Diese Fälle wurden der Gruppe „nicht benigne/nicht maligne“ zugeordnet (Tab. 2). Die Sensitivität für die klinische Vorhersage einer benignen Läsion lag bei 0,86 (95%-Konfidenzintervall [95%-KI]: 0,59–0,92), die Spezifität bei 0,95 (95%-KI: 0,85–0,99) und der positive Vorhersagewert bei 0,98 (95%-KI: 0,94–1,0). Der ermittelte Cohen-Kappa-Wert betrug 0,72 (95%-KI: 0,62–0,82). Für die klinische Vorhersage maligner Läsionen lag die ermittelte Sensitivität bei 0,95 (95%-KI: 0,85–0,99), die Spezifität 0,88 (95%-KI: 0,83–0,93) und der positive Vorhersagewert bei 0,73 (95%-KI: 0,61–0,83). Der Cohen-Kappa-Wert ergab 0,76 (95%-KI: 0,66–0,85) (Tab. 3).
Tab. 2
Kreuztabellen Dignität (A: benigne Dignität, B: maligne Dignität)
A: Klinische Diagnose
Histologische Diagnose
Benigne
Nicht benigne
Summe
Benigne
142
3
145
Nicht benigne
23
52
75
Summe
165
55
220
B: Klinische Diagnose
Histologische Diagnose
Maligne
Nicht maligne
Summe
Maligne
52
19
71
Nicht maligne
3
146
149
Summe
55
165
220
Tab. 3
Parameter zur Testgüte für die Dignität
 
Benigne
Maligne
Anzahl klinischer Diagnosen
145
71
Anzahl histologischer Diagnosen
165
55
Sensitivität
0,86 (0,59–0,92)
0,95 (0,85–0,99)
Spezifität
0,95 (0,85–0,99)
0,88 (0,83–0,93)
Pos. Vorhersagewert
0,98 (0,94–1,0)
0,73 (0,61–0,83)
Neg. Vorhersagewert
0,69 (0,56–0,79)
0,98 (0,94–1)
Cohen-Kappa-Wert
0,72 (0,62–0,82)
0,76 (0,66–0,85)
Werte in Klammern: 95%-Konfidenzintervall
Es werden die Parameter zur Testgüte für die klinische Einschätzung der Dignität angegeben. Es fällt auf, dass die Anzahl der klinisch benignen Diagnosen niedriger ist als die histologisch bestätigten benignen Diagnosen. Dabei ist es wahrscheinlich, dass häufiger klinisch sicherheitshalber ein maligner Verdacht gestellt wurde, der sich histologisch als benigne herausstellte. Vor dem Hintergrund, dass eine falsche klinische benigne Diagnose für den betroffenen Patienten schwere Konsequenzen hat, ist ein solches Vorgehen sicherlich gerechtfertigt. Dies spiegelt sich auch in den negativen und positiven Vorhersagewerten.
Für epitheliale benigne Diagnosen betrug die Sensitivität 0,62 (95%-KI: 0,35–0,85), die Spezifität 0,99 (95%-KI: 0,97–1) und der positive Vorhersagewert 0,83 (95%-KI: 0,52–0,98). Der errechnete Cohen-Kappa-Wert betrug 0,7 (95%-KI: 0,49–0,90). Für melanozytäre benigne Diagnosen errechnete sich eine Sensitivität von 0,59 (95%-KI: 0,39–0,76), eine Spezifität von 0,97 (95%-KI: 0,93–0,99) und ein positiver Vorhersagewert von 0,74 (95%-KI: 0,52–0,90). Der ermittelte Cohen-Kappa-Wert betrug 0,61 (95%-KI: 0,44–0,78) (Tab. 4).
Tab. 4
Parameter der Testgüte für benigne Subgruppen
 
Epithelial benigne
Melanozytär benigne
Übrige benigne
Anzahl klinischer Diagnosen
12
23
110
Anzahl histologischer Diagnosen
16
29
120
Sensitivität
0,62 (0,35–0,85)
0,59 (0,39–0,76)
0,89 (0,82–0,94)
Spezifität
0,99 (0,97–1)
0,97 (0,93–0,99)
0,97 (0,91–0,99)
Pos. Vorhersagewert
0,83 (0,52–0,98)
0,74 (0,52–0,90)
0,97 (0,92–0,99)
Neg. Vorhersagewert
0,97 (0,94–0,99)
0,94 (0,90–0,97)
0,88 (0,81–0,94)
Cohen-Kappa-Wert
0,70 (0,49–0,90)
0,61 (0,44–0,78)
0,85 (0,78–0,92)
Werte in Klammern: 95%-Konfidenzintervall
Die Sensitivität für epithelial maligne Neoplasien betrug 0,95 (95%-KI: 0,76–0,99), die Spezifität 0,94 (95%-KI: 0,90–0,97) und der positive Vorhersagewert 0,65 (95%-KI: 0,45–0,81). Der errechnete Cohen-Kappa-Wert betrug 0,74 (95%-KI: 0,6–0,88). Für melanozytäre maligne Neoplasien betrug die Sensitivität 0,89 (95%-KI: 0,67–0,99), die Spezifität 0,98 (95%-KI: 0,94–0,99) und der positive Vorhersagewert 0,77 (95%-KI: 0,55–0,92). Der Cohen-Kappa-Wert betrug 0,74 (95%-KI: 0,59–0,88). Bei den Lymphomen ergab die Sensitivität 1 (95%-KI: 0,78–1), die Spezifität 0,99 (95%-KI: 0,96–1,0) und der positive Vorhersagewert 0,83 (95%-KI: 0,59–0,96). Der Cohen-Kappa-Wert betrug 0,9 (95%-KI: 0,79–1,0; Tab. 5).
Tab. 5
Parameter der Testgüte für maligne Subgruppen
 
Epithelial maligne
Melanozytär maligne
Lymphome
Anzahl klinischer Diagnosen
31
22
18
Anzahl histologischer Diagnosen
21
19
15
Sensitivität
0,95 (0,76–1,0)
0,89 (0,67–0,99)
1,0 (0,78–1,0)
Spezifität
0,94 (0,90–0,97)
0,98 (0,94–0,99)
0,99 (0,96–1,0)
Pos. Vorhersagewert
0,65 (0,45–0,81)
0,77 (0,55–0,92)
0,83 (0,59–0,96)
Neg. Vorhersagewert
0,99 (0,97–1,0)
0,99 (0,96–1,0)
1,0 (0,98–1)
Cohen-Kappa-Wert
0,74 (0,60–0,88)
0,74 (0,59–0,88)
0,90 (0,79–1,0)
Werte in Klammern: 95%-Konfidenzintervall

Diskussion

Häufigkeit der Befunde

In der vorliegenden Studie waren 75 % aller exzidierten Bindehautläsionen benigne, 25 % maligne. Im Vergleich dazu fanden Shields et al. eine Häufigkeit benigner Befunde in 52 % und prämaligner sowie maligner Befunde in 48 % aller Fälle [3]. Garcia et al. fanden eine Häufigkeit benigner Befunde von 66,5 % sowie prämaligner und maligner Befunde in 33,6 % [4].
Die melanozytären benignen Befunde machten insgesamt 13,2 % aller Fälle aus, wovon die konjunktivalen Nävi mit 12,3 % aller Fälle den größten Anteil hatten. Im Vergleich dazu fanden sich bei Shields et al. eine Häufigkeit von konjunktivalen Nävi von 23 % aller Befunde und bei Holbach et al. 26 % aller Befunde [3, 5]. Bei Garcia et al. machten konjunktivale Nävi sogar 29 % aller Befunde aus [4]. Trotz der niedrigeren Anteile von benignen Nävi an allen Befunden war auch in dieser Studie wie in den genannten Arbeiten der konjunktivale Nävus die häufigste Neoplasie der Bindehaut.
Insgesamt waren in dieser Studie 7,1 % aller Befunde epithelial benigne. Dabei war das Papillom die häufigste Entität. Auch Holbach et al. fanden einen Anteil von 7,2 % an epithelial benignen Befunden [3]. Dagegen fanden Shields et al. einen Anteil epithelial benigner Befunden von 2 % [9]. Die unterschiedlichen Häufigkeiten könnten durch verschiedene Einschlusskriterien erklärt werden. Als Beispiel, bei Shields et al. wurde die aktinische Keratose nicht zu den epithelialen benignen Befunden gezählt, während sie in dieser Studie und bei Holbach et al. zu den epithelialen benignen Befunden zählten.
Die Diagnosen aus der Gruppe epithelial maligne machte insgesamt 9,5 % aller Befunde aus. Eine ähnliche Häufigkeit epithelialer maligner Befunde wurde auch bei Holbach et al. mit 11,1 % gefunden [5]. Ein etwas höherer Anteil wurden bei Garcia et al. mit 14,9 % (CIN 11,7 % und Plattenepithelkarzinom 3,2 %) und bei Shields et al. mit 14 % (CIN 5 % und Plattenepithelkarzinom 9 %) beschrieben [3, 4].
Melanozytär maligne waren 8,6 % aller Befunde. Ein ähnliches Ergebnis fand sich bei Garcia et al. mit einem Anteil von 6,2 % melanozytärer maligner Neoplasien [4]. Bei Shields et al. fanden sich insgesamt 24 % melanozytär maligne Befunde [3]. Im Vergleich dazu fanden Holbach et al. einen Anteil von 25 % an melanozytären malignen Neoplasien [5].
Unterschiede in der Häufigkeit benigner und maligner Befunde könnten durch die verschiedenen länderspezifischen Gesundheitssysteme oder unterschiedlichen populationsbasierten Faktoren und Expositionen, wie z. B. erhöhte Sonnenlichtexposition, erklärt werden. Zudem ist bei vielen eindeutig benignen Befunden eine Exzision in der Regel nicht erforderlich, weshalb diese in den Auswertungen nicht erfasst wurden. In einer Arbeit von Dalvin et al. wurde die populationsbasierte Inzidenz sowie die Häufigkeit von konjunktivalen Tumoren anhand der klinischen Diagnosen in einem Register errechnet. Hier zeigte sich eine deutlich höhere Inzidenz von benignen Tumoren mit 94 % und eine niedrigere Inzidenz bei malignen Tumoren mit 6 %. Dennoch ist in der erwähnten Studie der konjunktivale Nävus ebenfalls die häufigste Neoplasie [6]. Die Studien wie die vorliegende, die nur Fälle mit histopathologischen Befunden einschließen, scheinen die wahre Verteilung benigner Befunde zu unterschätzen, während die Verteilung maligner Befunde überschätzt wird. Im histologisch beurteilten Auswertungsgut müssen wir daher von einem Bias ausgehen.

Testgüte der klinischen Diagnose

Vor dem Hintergrund, maligne Befunde sicher zu erkennen, ist eine hohe Spezifität und Sensitivität von Bedeutung. Die gefundenen Werte der vorliegenden Studie für die klinische Einschätzung maligner Dignität sind als gut zu bewerten. Die Übereinstimmung von klinischer Einschätzung der Dignität und dem histologischem Befund ist nach Landis und Koch mit einem Cohen-Kappa-Wert von > 0,7 als „substanziell“ einzustufen [7].
Dennoch gibt es Fälle, bei denen die klinische Einschätzung falsch lag. In dieser Studie kam es in drei Fällen zu einer klinisch falschen benignen Einschätzung. In allen Fällen lag eine klinisch untypische Läsion vor, die die Einschätzung schwer machte.
Cinotti et al. fanden vergleichbare Werte für die Korrektheit klinischer Diagnosestellung bei Plattenepithelkarzinomen mit einer Sensitivität von 1,00 (95%-KI: 0,68–1,0), Spezifität 0,4 (95%-KI: 0,73–0,83) und einem positiven Vorhersagewert von 0,79 (95%-KI: 0,49–0,94) [2]. Wir ermittelten eine Sensitivität für epitheliale maligne Neoplasien von 0,95 (95%-KI: 0,76–0,99), eine Spezifität von 0,94 (95%-KI: 0,90–0,97) und einen positiven Vorhersagewert von 0,65 (95%-KI: 0,45–0,81). Die Unterschiede in der gefundenen Spezifität zwischen dieser Arbeit und der von der Arbeitsgruppe um Cinotti könnten sich durch die verschiedene Anzahl an untersuchten Fällen erklären. Cinotti et al. haben 56 Fälle mit Neoplasien der Bindehaut in ihre Auswertung eingeschlossen, davon waren etwa 20 % Plattenepithelkarzinome [2]. Die histologischen Diagnosen, die klinisch mit einem Plattenepithelkarzinom verwechselt worden sind, sind unter anderem die aktinische Keratose, die reaktive entzündliche Epithelhyperplasie und unspezifische entzündliche Veränderungen. Holbach et al. und weitere beschreiben, dass die genannten Läsionen einem Plattenepithelkarzinom sehr ähneln können und die Diagnose erschweren können [5, 8].
Bei den malignen melanozytären Läsionen lässt sich als Vergleich die bereits erwähnte Arbeit von Cinotti et al. heranziehen. Dort wurde für die klinische Diagnose maligner Melanome eine Sensitivität von 0,73 (95%-KI: 0,39–0,93), eine Spezifität von 0,96 (95%-KI: 0,79–1,0) und ein positiver Vorhersagewert von 0,61 (95%-KI: 0,36–0,82) gefunden [2]. Wir ermittelten eine Sensitivität für epitheliale maligne Neoplasien von 0,95 (95%-KI: 0,76–0,99), eine Spezifität von 0,94 (95%-KI: 0,90–0,97) und einen positiven Vorhersagewert von 0,65 (95%-KI: 0,45–0,81). Im Vergleich fällt ein Unterschied in der Spezifität auf. Erklärt wird dies dadurch, dass bei bei Cinotti et al. klinisch in 38 Fällen der Verdacht auf ein malignes Melanom gestellt wurde und nach Exzision nur in 11 Fällen eine Diagnose bestätigt wurde. Es wurde also klinisch häufiger der fälschlicherweise der Verdacht geäußert. Dennoch zeigen die anderen Werte ein vergleichbares Ergebnis.
Zwar zeigen die gefundenen Werte, dass der klinische Verdacht auf Malignität in den meisten Fällen zuverlässig ist. Dennoch wurde in der vorliegenden Studie in zwei Fällen klinisch eine melanozytär benigne Läsion (Nävus) vermutet, die sich histologisch als melanozytär maligne herausstellte. Da jedoch in diesen Fällen in der Regel die Exzision auch direkt die Therapie darstellt, sollte bei untypischen Läsionen eine frühe Exzision angestrebt werden.
Die Gruppe der übrigen malignen Neoplasien bestand in dieser Arbeit ausschließlich aus Lymphomen der Konjunktiva. Alle Patienten mit einem Lymphom wurden initial klinisch auch dementsprechend beurteilt. Ein ähnliches Ergebnis zeigt auch die Arbeit von Cinotti et al. mit einer gefundenen Spezifität für die klinische Diagnose von Lymphomen von 1,0 (95%-KI: 0,2–1) und einem positiven Vorhersagewert von 1 (95%-KI: 0,2–1) [2]. Eine Biopsie ist dennoch nicht nur für die Diagnosestellung, sondern auch für die Planung der weiteren Therapie notwendig [9].
Wie bereits aufgeführt, wurden in dieser Studie nur Befunde nach Exzision eingeschlossen. Es muss daher von einem Bias in der Häufigkeit zugunsten von malignen Befunden ausgegangen werden. Darüber hinaus birgt das Setting an einer universitären Augenklinik ebenfalls Limitationen. Eindeutige Befunde werden oft in der Niederlassung behandelt und nicht zur Beurteilung an die Universitätsklinik überwiesen. Wie bereits ausgeführt, beeinflussen auch die Einschlusskriterien das Ergebnis.
Dabei ist es wahrscheinlich, dass es in einigen Fällen klinisch sicherheitshalber ein maligner Verdacht gestellt wurde, der sich histologisch als benigne herausstellte. Vor dem Hintergrund, dass eine falsche klinische benigne Diagnose für den betroffenen Patienten schwere Konsequenzen hat, ist ein solches Vorgehen sicherlich gerechtfertigt. Ein falscher klinischer maligner Verdacht, der sich histologisch als benigne entpuppt, verläuft hingegen für die Patienten häufig besser als vice versa.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die klinische Einschätzung von Bindehautbefunden in dieser Studie als gut einzustufen ist. Dennoch ist auf die enorme Wichtigkeit einer guten Differenzialdiagnostik hinzuweisen. Es hat sich gezeigt, dass nicht in allen Fällen ein maligner Befund sicher erkannt wird. Da dies für Patienten weitreichende Folgen haben kann, sollte im klinischen Alltag die Verdachtsdiagnose kritisch hinterfragt werden und im Zweifel eine Exzision angestrebt werden.

Fazit für die Praxis

  • Der klinische Verdacht auf Malignität wird mit hoher Sensitivität histologisch bestätigt.
  • Eine gute Differenzialdiagnostik mit kritischem Hinterfragen der gestellten Verdachtsdiagnose ist wichtig.
  • Im Zweifel bringt nur die Exzision mit histopathologischer Befundung die genaue Diagnose.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A.R. Gruben, K. Hösel, J. Roider und C. Ehlken geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patient/-innen liegt eine Einverständniserklärung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Unsere Produktempfehlungen

Die Ophthalmologie

Print-Titel

  • Umfassende Themenschwerpunkte mit klaren Handlungsempfehlungen
  • Praxisrelevante CME-Fortbildung in jedem Heft
  • Organ der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

Literatur
1.
Zurück zum Zitat Westekemper M Bechrakis, Benigne und maligne Bindehauttumoren in Diagnostik und Therapie. Klin. Monatsbl. Augenheilkd Westekemper M Bechrakis, Benigne und maligne Bindehauttumoren in Diagnostik und Therapie. Klin. Monatsbl. Augenheilkd
2.
Zurück zum Zitat Cinotti E et al (2017) Handheld in vivo reflectance confocal microscopy for the diagnosis of eyelid margin and conjunctival tumors. JAMA Ophthalmol 135(8):845–851CrossRefPubMedPubMedCentral Cinotti E et al (2017) Handheld in vivo reflectance confocal microscopy for the diagnosis of eyelid margin and conjunctival tumors. JAMA Ophthalmol 135(8):845–851CrossRefPubMedPubMedCentral
3.
Zurück zum Zitat Shields CL et al (2017) Conjunctival tumors: review of clinical features, risks, biomarkers, and outcomes—the 2017 J. Donald M. Gass lecture. Asia Pac J Ophthalmol (Phila) 6(2):109–120PubMed Shields CL et al (2017) Conjunctival tumors: review of clinical features, risks, biomarkers, and outcomes—the 2017 J. Donald M. Gass lecture. Asia Pac J Ophthalmol (Phila) 6(2):109–120PubMed
4.
Zurück zum Zitat Garcia Onrubia L et al (2020) Spectrum of conjunctival tumours in a Spanish series: a review of 462 cases. Eur J Ophthalmol 30(6):1403–1409CrossRefPubMed Garcia Onrubia L et al (2020) Spectrum of conjunctival tumours in a Spanish series: a review of 462 cases. Eur J Ophthalmol 30(6):1403–1409CrossRefPubMed
5.
Zurück zum Zitat Holbach LM, Pogorelov P, Kruse FE (2007) Differential diagnosis and treatment options for conjunctival tumors. Ophthalmologe 104(6):521–538CrossRefPubMed Holbach LM, Pogorelov P, Kruse FE (2007) Differential diagnosis and treatment options for conjunctival tumors. Ophthalmologe 104(6):521–538CrossRefPubMed
6.
Zurück zum Zitat Dalvin LA, Salomao DR, Patel SV (2018) Population-based incidence of conjunctival tumours in Olmsted County, Minnesota. Br J Ophthalmol 102(12):1728–1734CrossRefPubMed Dalvin LA, Salomao DR, Patel SV (2018) Population-based incidence of conjunctival tumours in Olmsted County, Minnesota. Br J Ophthalmol 102(12):1728–1734CrossRefPubMed
7.
Zurück zum Zitat Landis JR (1977) G.G.K., the measurement of observer agreement for categorical data. International Biometric SocietyCrossRef Landis JR (1977) G.G.K., the measurement of observer agreement for categorical data. International Biometric SocietyCrossRef
8.
Zurück zum Zitat Shields CL, Shields JA (2004) Tumors of the conjunctiva and cornea. Surv Ophthalmol 49(1):3–24CrossRefPubMed Shields CL, Shields JA (2004) Tumors of the conjunctiva and cornea. Surv Ophthalmol 49(1):3–24CrossRefPubMed
9.
Zurück zum Zitat Shields CL et al (2001) Conjunctival lymphoid tumors: clinical analysis of 117 cases and relationship to systemic lymphoma. Ophthalmology 108(5):979–984CrossRefPubMed Shields CL et al (2001) Conjunctival lymphoid tumors: clinical analysis of 117 cases and relationship to systemic lymphoma. Ophthalmology 108(5):979–984CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Untersuchung der Genauigkeit klinischer Diagnosen von Neoplasien der Konjunktiva
Vergleich mit den histologischen Befunden nach Exzision
verfasst von
Arved Rikus Gruben
Kristin Hösel
Johann Roider
Christoph Ehlken
Publikationsdatum
06.03.2024
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Nävi
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 5/2024
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-024-02009-5

Weitere Artikel der Ausgabe 5/2024

Die Ophthalmologie 5/2024 Zur Ausgabe

Neu im Fachgebiet Augenheilkunde

Metastase in der periokulären Region

Metastasen Leitthema

Orbitale und periokuläre metastatische Tumoren galten früher als sehr selten. Aber mit der ständigen Aktualisierung von Medikamenten und Nachweismethoden für die Krebsbehandlung werden neue Chemotherapien und Strahlenbehandlungen eingesetzt. Die …

Staging und Systemtherapie bei okulären und periokulären Metastasen

Metastasen Leitthema

Metastasen bösartiger Erkrankungen sind die häufigsten Tumoren, die im Auge diagnostiziert werden. Sie treten bei ungefähr 5–10 % der Patienten mit soliden Tumoren im Verlauf der Erkrankung auf. Besonders häufig sind diese beim Mammakarzinom und …

Wundheilung nach Trabekulektomie

Trabekulektomie CME-Artikel

Die überschießende Wundheilung in der filtrierenden Glaukomchirurgie ist ein zentraler Faktor für ein operatives Versagen. Nach der Einführung der Trabekulektomie in den 1960er-Jahren wurden viele Faktoren erkannt, die mit einer vermehrten …

„standard operating procedures“ (SOP) – Vorschlag zum therapeutischen Management bei periokulären sowie intraokulären Metastasen

Metastasen Leitthema

Peri- sowie intraokuläre Metastasen sind insgesamt gesehen selten und meist Zeichen einer fortgeschrittenen primären Tumorerkrankung. Die Therapie ist daher zumeist palliativ und selten kurativ. Zudem ist die Therapiefindung sehr individuell. Die …

Update Augenheilkunde

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.